Ezzes
das Leben gerettet. Ich bin der David.“
„Angenehm, Andreas“, replizierte Cerny.
Einen Moment lang schwiegen beide Männer verlegen, dann obsiegte in Bronstein wieder die Neugier: „Also, was war das da mit dem Schießbefehl?“
„Na ja, es ist ja schon vorher rundgegangen. Die Leute wollten die Polizisten lynchen, die noch im Gebäude waren. Die sind von dem ehemaligen General gerettet worden, der jetzt bei den Roten ist, der … der … na!“
„Der Körner?“
„Genau der. Der hat sie als Verletzte rausschaffen lassen. Das habe ich gerade noch mitgekriegt. Und dann haben wir selber gehen müssen, weil Sie, na ja, nicht mehr einsatzfähig waren. In dem Moment, als ich mit Ihnen … mit dir das Haus in der Reichsratsstraße erreiche, formiert sich direkt hinter uns Polizei mit Gewehr, und ich höre, wie der kommandierende Kollege was von ,Legt an!‘ ruft. Ich denk mir noch, das kann er nicht ernst meinen, in dem Moment hör ich auch schon, wie er ,Feuer!‘ schreit.“
Bronstein krümmte sich. „Um Gottes Willen! Sind denn da alle wahnsinnig geworden?“
Cerny wollte eben fortfahren, als die Tür zum Krankenzimmer aufgerissen wurde. Einige Uniformierte betraten den Raum, gefolgt von Reportern mit Kameras. Am Ende des Zuges erschien Polizeivizepräsident Seydel.
„Ja, mein lieber Herr Bronstein“, tönte dessen Bass durch den Raum, „Sie machen ja … G’schichten … ned wahr!“ Seydel verscheuchte Cerny unelegant von dessen Sessel und platzierte sein Hinterteil fotogerecht auf Bronsteins Krankenbett. „So, meine Herren … die Jagd … ist … eröffnet, ned wahr! … Feuer frei … sozusagen.“
Ehe sich Bronstein zu irgendeiner Reaktion aufraffen konnte, war er gemeinsam mit dem Vizepräsidenten mehrmals abgelichtet. „Tapfer! Schneidig! Kompliment!“ Seydel schaffte problemlos drei Worte auf einmal und blickte sichtlich stolz auf seinen Untergebenen. „Bitte was?“, stöhnte der.
„Na ihr Rettungsversuch für die Kollegenschaft … ned wahr … Klassikaner! … Chapeau, Chapeau! … Der Minister hat sich extra … erkundigt … nach Ihnen! … Stellen S’ Ihnen das … vor, ned?! … Bronstein, hören S’ … hören S’ gut zu jetzt, weil … das ist von großer Wichtigkeit … ist des, ned wahr …, Sie … Sie kriegen an Orden! … Ka Witz, Herr Kollege. … Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik … Österreich! … Ist schon alles bewilligt. Wenn S’ wieder … am Damm sind … ned wahr …, dann mach’ ma a große Feier … Sie Held, Sie! … Alsdern, … habe die Ehre! … Meine Herren! Abmarsch!“
So schnell und überfallsartig, wie die merkwürdige Kolonne aufgetaucht war, so verschwand sie auch wieder, und hätte Cerny ihm nicht kategorisch die Wahrhaftigkeit des Erlebten bestätigt, er hätte gedacht, immer noch zu träumen. Das war doch ein unglaublicher Witz. Zwanzig Jahre lang hatte er dem Vaterland treu und ergeben gedient, ohne jemals auch nur belobigtworden zu sein, und dann verhalf er drei Verdächtigen zur Flucht und bekam einen Orden. So absurd konnte nur Österreich sein.
Bronstein wartete noch einen Augenblick, dann wandte er sich abermals an Cerny: „Weißt du was von der Jelka?“
„Nein. Dafür hab ich, ehrlich gesagt, keine Zeit gehabt. Aber ich bin mir sicher, dass die Frau weiß, wie sie die Dinge anzupacken hat. Die werden es sicher geschafft haben.“
„Meinst?“
„Meine ich.“
„Na, und jetzt erzähl’ weiter. Was ist dann passiert?“, sagte Bronstein, um sich von seinen Sorgen, die Jelka betreffend, abzulenken.
Cerny wurde ernst: „Es war furchtbar. Zuerst haben sie ja noch in die Luft geschossen. Aber dann gezielt in die Menge. Bevor ich hierhergekommen bin, habe ich zufällig den Polizeibericht g’sehen. Fünf Kollegen sind tot, und 89 Demonstranten. Wir haben 120 Verletzte, die Demonstranten über 500. So etwas habe ich überhaupt noch nie erlebt.“
„Was?“ Bronstein wollte hochfahren, doch der stechende Schmerz in seinem Kopf zwang ihn sofort wieder auf sein Lager zurück, „94 Tote“, flüsterte er, „das hat’s ja nicht einmal im 19er Jahr gegeben.“
„Eben.“
„Ich sag dir’s, Cerny, an dem werden wir noch lange zum Kiefeln haben. Das werden uns die Arbeiter so schnell nicht vergessen. Was da angerichtet worden ist, meine Güte, es wird Jahre dauern, bis der Graben zugeschüttet ist.“
Cerny nickte, und beide Männer verharrten eine Weile in Schweigen. Dann fragte Bronstein, um abermals
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