Ezzes
wieder fröhliche Urständ’. Die Volkswehr war wieder zum Adelscasino geworden, und die Grafen, Freiherren und Edlen führten nun erneut das Kommando. So gesehen mochte die Kvitek vielleicht wirklich recht haben. Alles war nur Fassade. Bei einem flüchtigen Blick mochte man den Eindruck haben, dass alles fair zuging, doch wenn man erst einmal genauer hinsah, erkannte man tatsächlich, dass sich nur wenigverändert hatte. Und dieses Wenige stand vielleicht tatsächlich auf tönernen Füßen.
Bronstein versuchte sich damit zu trösten, dass ihm das rechtschaffen egal sein konnte. Als Beamter war er unkündbar, ihn erwartete zudem eine schöne Pension, die er in fünfzehn, sechzehn Jahren würde antreten können. Und die hatte es schon in der Monarchie gegeben, die würde man niemals revidieren, denn dass eine Demokratie in ihren Rechten sogar hinter das Kaiserreich zurückfiel, das war in der Tat denkunmöglich. Und in diesem Lichte mochte es sogar ein Glück sein, dass er Junggeselle war, er brauchte sich nicht zu sorgen, ob auch für seine Kinder einmal genug Arbeit und Brot gerüstet stehen würden. Die Gindl fiel ihm wieder ein. Wie brav die studierte! Die mochte es auch in schwierigen Zeiten zu etwas bringen, zumal, wenn sie erst einmal akademische Würden errungen hatte. Aber wer konnte sagen, ob man sich in ein paar Jahren das Studieren noch würde leisten können? Die Gindl musste ja jetzt schon neben dem Lernen arbeiten, und wenn die wirtschaftliche Lage noch angespannter wurde, dann war sie vielleicht gezwungen, ihr Studium ganz aufzugeben. Was mochte dann aus ihr werden? Er hatte sich damals das Studium kaum leisten können, während man irgendwelche Grafen Bobby und Grafen Bamsti durch die Prüfungen getragen hatte, weil doch der Herr Papa die richtigen Verbindungen hatte. Und der Graf Bobby war sicherlich gleich in mehrfacher Hinsicht abgesichert, der war dann auch noch in der entsprechenden Burschenschaft, wo der prüfende Professor wahrscheinlich Alter Herr war, na, und dann verliefen die akademischen Wege sehr, aber auch wirklich sehr geradlinig. Bronstein spürte einen bitteren Geschmack im Mund. Gerne hätte er jetzt einen Cognac zu sich genommen. Doch den hatte er nicht vorrätig, er musste sich mit einer weiteren Zigarette behelfen. Er lehnte sich zurück und schloss, während er rauchte, die Augen. Abermalskam ihm die Gindl in den Sinn. Abrupt richtete er sich auf. War er tatsächlich drauf und dran, sich in die Studentin zu verlieben? In eine Person, die immer noch als Verdächtige in einem Mordfall betrachtet werden musste? Die noch dazu fast halb so alt war wie er selbst?
Nein, beruhigte er sich selbst. Es war väterliche Sorge, die ihn an die Gindl denken ließ. Es war ihr zu gönnen, dass die Zeiten nicht härter wurden, damit sie ihr Studium beenden und dann ein standesgemäßes Leben führen konnte. Und das würde wohl auch für die Stepanek gelten, spann er seinen Gedanken weiter. Doch die studierte seines Wissens gar nicht. Also waren ihre Chancen in dieser Welt von vornherein limitiert. Irgendwie hatte die Kvitek schon recht, gerecht war diese Welt noch immer nicht, Demokratie hin, Monarchie her. Aber er war wohl nicht derjenige, der dies würde ändern können.
Der Zug hielt ratternd an, und instinktiv sah Bronstein aus dem Fenster. Man hatte Gloggnitz erreicht. Jetzt würde es nur noch monoton dahingehen, würde man an Wiener Neustadt vorbei bald wieder Wien selbst erreichen. So gesehen mochte es Zeit sein, sich erneut dem Fall zuzuwenden, um Pokorny nicht völlig unvorbereitet entgegenzutreten. Bronstein suchte in seinen Taschen nach Papier und Schreibgerät und begann, die bisherigen Eckpunkte noch einmal schematisch zu skizzieren.
Der Zug erreichte die Vororte von Wien, und Bronstein besah sich seine Notizen. Wie er es auch drehte und wendete, wenn die Sache mit der Döblinger Villa und jene mit dem Simmeringer Zinshaus keine neuen Anhaltspunkte ergab, dann kamen nur noch die Verkäuferinnen für die Tat in Frage, und bei realistischer Betrachtung war es auch mit Abstand am wahrscheinlichsten, dass Guschlbauer von einer dieser Frauen getötet worden war. Es galt nur noch zu klären, wer mit Guschlbauer ein Verhältnis hatte oder wer von Guschlbauer zu einem solchen genötigt worden war. Und um das herauszufinden,musste unbedingt der Kontakt zu den anderen Verkäuferinnen hergestellt werden. An diesem Punkt kam er also nicht weiter. Alles, was zu tun blieb, war, darauf zu
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