F (German Edition)
Er hatte weder eine Adresse noch eine Nachricht hinterlassen. Ein paar Wochen rechnete ich täglich damit, dass er sich melden und alles erklären würde. Dann gab ich das Warten auf.
Ein fensterloser Raum im Keller des bischöflichen Palais. Es riecht nicht gut, und es gibt keine Klimaanlage. Linoleum auf dem Fußboden, weiß gestrichene Wände, die Decke beklebt mit schalldichtem Kunststoff, an der Wand das vorgeschriebene Kruzifix. Ein Tischtennistisch, ein Fußballtisch, zwei alte Computer, zwei PlayStations und eine Horde Halbwüchsiger, die wissen, dass sie nur die Anwesenheit von zwei Priestern in Kauf nehmen müssen, damit ihnen all dies gratis zur Verfügung steht. Auch die Getränke kosten nichts. Zu meinem Beruf gehören vielfältige Pflichten. Dürfte ich auf eine davon verzichten, so würde ich diese aussuchen: das Treffen der Katholischen Jugend.
Neben mir steht Pater Tauler, ein hagerer Jesuit. Er reibt sich die Augen und seufzt.
«Es dauert nicht lange!», sage ich.
«Eine Stunde.»
«Die geht vorbei.»
«Meinst du?»
«Sie muss ja.»
Er seufzt wieder. «Übrigens, dein Freund Finckenstein ist hier.»
«Ach!»
«Oben im Palais. Geradewegs aus Rom.»
Pater Tauler geht zu einem der abgewetzten Stühle. Er lässt sich darauf nieder, sofort kommen zwei Mädchen auf ihn zu, setzen sich zu ihm und beginnen, leise mit ihm zu sprechen. Die eine ist aufgeregt, ihre Augen glänzen, die andere legt ihr dann und wann den Arm um die Schultern.
Unbestimmt lächelnd bewege ich mich auf den anderen Stuhl zu. Ich schwitze stark, und ich hätte gern ein Getränk aus dem Automaten. Aber das ist nicht möglich. Ich kann hier nicht Coca-Cola aus der Flasche trinken, ich muss einen Rest Würde bewahren. Wäre ich schlank, es wäre kein Problem. Aber bei mir geht es nicht.
Ich setze mich und warte. Vielleicht will ja niemand etwas von mir. Zwei Jungen spielen Tischfußball, mit zornigen Bewegungen lassen sie den Ball hin und her schnellen, hinter ihnen springen drei Mädchen um den Tischtennistisch, sie sind wirklich gut, ich kann den Ball kaum sehen. Die PlayStations quietschen und pfeifen, es riecht nach Schweiß. Ein Mädchen geht auf mich zu, ich erschrecke, aber zum Glück biegt es ab in Richtung der Computer. Am schlimmsten ist es, wenn Mädchen zu mir kommen, weil sie schwanger sind. Ich weiß, was ich ihnen zu sagen habe, die Regeln sind strikt, aber in Wahrheit bin ich ratlos. Leichter ist es bei Glaubenszweifeln. Da muss ich nicht nachdenken, da spreche ich einfach vom Mysterium. Leider sind Glaubenszweifel aus der Mode gekommen.
Ich schließe die Augen. Ausgerechnet Finckenstein! Ich werde ihn wohl begrüßen müssen, er weiß, dass ich hier bin, es würde seltsam aussehen. Und ich sollte ihn nicht meiden, man darf dem Neid keinen Raum geben.
Ich öffne die Augen. Jemand hat mir ans Knie geklopft. Ein junger Mann sitzt vor mir. Ich kenne ihn, er ist oft hier, und er heißt … Das habe ich vergessen. Könnte ich mir Namen besser merken, wüsste ich, wie er heißt. Er hat schon Bartstoppeln, er trägt eine blaue Schirmkappe mit den Buchstaben N und Y , und sein rechter Nasenflügel ist durchbohrt von einem dünnen Ring. Auf seinem T-Shirt steht bubbletea is not a drink I like . Seine Jeans sind zerrissen, aber es sind solche, die man zerrissen kauft. Sein Gesicht ist bleich, vermutlich sieht man deshalb so deutlich die Stoppeln. Er starrt mich aus leicht entzündeten Augen an.
«Ja?», sage ich.
Er räuspert sich, dann beginnt er zu sprechen. Ich beuge mich vor. Er redet zu leise und zu schnell, ich verstehe ihn nicht gut.
«Moment. Bitte langsamer.»
Er blickt auf seine Turnschuhe, räuspert sich erneut, fängt von vorne an. Allmählich verstehe ich. Es hat eine Schlägerei gegeben, und auch ein Schmetterling spielt eine Rolle. Butterfly sagt er immer wieder und macht Flatterbewegungen mit der Hand, so und so und so: Butterfly .
Schmetterling …? Mir kommt ein Verdacht.
Ja, sagt er. Ein Messer, ein Butterfly. So mache man es auf, so steche man zu, ganz schnell sei es gegangen.
«Moment. Noch einmal.»
Seufzend, schwitzend erzählt er. Manches verstehe ich nicht, aber das Wesentliche bekomme ich mit. Er und zwei Freunde namens Ron und Carsten hätten vor zwei Nächten Streit gehabt, in einer Diskothek, mit jemandem namens Ron; die Namensgleichheit sei ein Zufall und habe nichts zu bedeuten. Was es schwieriger macht, ist allerdings, dass der Junge vor mir, jetzt fällt es mir wieder ein,
Weitere Kostenlose Bücher