F (German Edition)
ich nun einmal mit der Bewegung begonnen habe, kann ich sie nicht mehr abbrechen, also schlage ich das Kreuz über ihm, von oben nach unten, von rechts nach links, und er fängt wieder an zu weinen, vor Rührung diesmal, vielleicht glaubt er wirklich, dass ihm das irgendeine Feuerhölle erspart, und ich wehre ab und sage, dass er zur Polizei gehen und alles erzählen müsse, und er sagt, klar werde er das tun, und ich weiß, dass er lügt, und er weiß, dass ich es weiß.
Danke, sagt er wieder. Danke, Herr Pfarrer!
«Aber geh zur Polizei. Sag ihnen, was –»
Ja klar! Zur Polizei. Und dann will er von vorne anfangen und mir die ganze trübe Geschichte wieder erzählen, aber nun reicht es. Ich springe auf.
Ron sieht zu mir empor – einerseits befreit, weil er meint, ich hätte die Sünde von ihm genommen, andererseits besorgt, weil er sich mir anvertraut hat. Ich sehe in sein Gesicht, in seine verschwommenen Augen, aus denen mich eine noch ungeformte, eine sich selbst unbekannte Person anblickt. Furcht liegt in seinem Blick, aber auch ein Zug sanfter Bösartigkeit und die Frage, ob ich nicht jemand bin, der zum Schweigen gebracht werden sollte.
Ich lächle ihm zu, er lächelt nicht zurück. «Das wird schon», sage ich und habe keine Ahnung, was ich damit meine. Ich strecke ihm den Arm entgegen, er steht auf, und wir schütteln uns die Hände. Die seine ist weich und feucht, er lässt sofort wieder los. Mir ist, als ob alles klarer wäre, besser, richtiger, wenn ich nur die Aufschrift auf seinem Hemd verstehen könnte. Entschlossen wende ich mich ab und bedeute Pater Tauler, dass ich gehen muss. Er zieht überrascht die Augenbrauen hoch, ich zeige auf meine Armbanduhr und die Zimmerdecke – die in aller Welt verständliche Geste für einen Termin an höherer Stelle.
«Herr Pfarrer?» Ein junges Mädchen, sie trägt eine Kette mit Kruzifix, stellt sich vor mich hin. «Ich habe eine Frage.»
«Sprich mit Pater Tauler.»
Enttäuscht gibt sie den Weg frei, ich erreiche die Tür und das Treppenhaus. Schnaufend arbeite ich mich empor. Aufgelöst in Schweiß, betrete ich die marmorkühle Eingangshalle.
«Friedland!»
Ausgerechnet jetzt. Er ist dünn und groß, sein schwarzes Gewand ist elegant geschnitten, seine Frisur erstklassig und seine Brille von Armani. Natürlich schwitzt er nicht.
«Hallo, Finckenstein.»
«Heiß ist es bei euch.»
«Das bist du doch jetzt gewohnt.»
«Ja, der Sommer in Rom ist schlimm.» Er verschränkt die Arme, lehnt sich ans steinerne Treppengeländer und mustert mich mit unklar amüsiertem Ausdruck.
«Gerade habe ich jemandem die Beichte abgenommen. Stell dir vor, er hat … Ich meine, was macht man, wenn jemand … Wie ist das mit dem Beichtgeheimnis, wenn … Egal. Nicht jetzt. Egal.»
«Spielst du noch mit deinem Würfel?»
«Ich bereite mich auf die Meisterschaft vor.»
«Es gibt wirklich noch Rubik-Meisterschaften? Hast du Zeit? Wollen wir was zusammen essen?»
Ich zögere. Eigentlich möchte ich nicht von seiner Karriere hören, von seinem Leben in gekühlten Räumen, seinem Aufstieg und Erfolg. «Gern.»
«Dann komm. Ein frühes Abendessen, etwas Leichtes, viel schafft man ja nicht bei diesem Wetter.» Er geht die Marmortreppe hinauf, unentschlossen folge ich ihm.
«Hast du in letzter Zeit Kalm gesehen?», frage ich.
«Immer noch der Gleiche. Er ist bald Bischof, wenn Gott will.»
«Er wird wollen.»
«Ich denke auch. Er wird wollen.»
«Glaubst du an Gott?»
Er bleibt stehen. «Martin, ich bin stellvertretender Chefredakteur von Radio Vatikan!»
«Und?»
«Du fragst den stellvertretenden Chefredakteur von Radio Vatikan, ob er an Gott glaubt?»
«Ja.»
«Ernsthaft?»
«Nein. Aber wenn ich ernsthaft fragen würde, was würdest du sagen?»
«Ich würde sagen, die Frage stellt sich so nicht.»
«Warum?»
«Gott ist ein sich selbst realisierender Begriff, eine causa sui , weil sie denkbar ist. Ich kann ihn denken, und weil er denkbar ist, muss es ihn geben, alles andere wäre ein Widerspruch, also weiß ich, dass es ihn auch dann gibt, wenn ich nicht an ihn glaube. Und deshalb glaube ich. Und vergiss nicht, wir realisieren seine Existenz durch tätige Menschenliebe. Wir machen unsere Arbeit. Durch uns wird er wirklich, aber wir können ihn nur wirklich werden lassen, weil er sein muss. Wie kann man Menschen lieben, wenn man in ihnen nicht Gottes Geschöpfe sieht, sondern etwas Zufälliges: Flechten, die Karriere gemacht haben, Säugetiere mit Verdauung und
Weitere Kostenlose Bücher