F (German Edition)
Beine sind angewinkelt, sein Oberkörper ist gekrümmt. Mir wird klar, dass das vielleicht der letzte Augenblick ist, in dem ich aus der Sache herauskönnte. Ich bleibe stehen und sage krächzend: «Lasst ihn doch!»
Sie beachten mich nicht. Noch immer könnte ich umkehren. Statt einer Antwort höre ich, wie der in mir, der nicht auf den hört, der ihn anfleht zu schweigen, laut wiederholt: «Lasst ihn doch! Hört auf!»
Sie beachten mich nicht. Was tun? Dazwischengehen kommt nicht in Frage, das kann wirklich keiner von mir erwarten. Erleichtert will ich mich schon umdrehen, aber genau jetzt halten sie inne. Alle drei, im selben Moment, als hätten sie es geprobt. Sie starren mich an.
«Was?», sagt der Größte von ihnen. Sein Gesicht ist verschattet von Bartstoppeln, er hat einen dünnen Ring in der Nase, auf seinem T-Shirt steht bubbletea is not a drink I like . Er keucht wie nach harter Arbeit.
Der neben ihm – auf seinem T-Shirt steht MorningTower – sagt ebenfalls, gedehnt und zittrig: «Was?»
Der Dritte starrt nur. Auf seinem T-Shirt ist ein grellrotes Y .
Der auf dem Boden liegt reglos und atmet schwer.
Jetzt kommt es darauf an. Jetzt muss ich das Richtige sagen, das rechte Wort finden, einen Satz, der alles entspannt, verbessert, auflöst, klärt. Es heißt ja, dass Angst einen schneller denken lässt, aber ich merke nichts davon. Mein Herz klopft, in meinen Ohren rauscht es, die Straße dreht sich langsam um sich selbst. Ich wusste nicht, dass man sich so fürchten kann, mir ist, als hätte ich mich noch nie im Leben gefürchtet, als lernte ich das Fürchten erst jetzt. Gerade war doch alles noch in Ordnung, dort oben war ich, hinter einer Stahltür, umgeben von Sicherheit. Kann der Übergang sich wirklich so schnell vollziehen, kann das Schlimmste so nahe liegen? Und ich denke: Frag dich jetzt nicht so etwas, du hast die Zeit nicht, du musst das Richtige sagen! Und ich denke: Vielleicht gibt es Momente, in denen es keine richtigen Worte mehr gibt, Momente, in denen Worte nichts mehr bedeuten, in denen Worte zerfallen, in denen Worte nirgendwo hinführen, weil es einfach egal ist, was man sagt. Und ich denke: Hör endlich zu denken auf! Und ich denke …
Da tritt bubbletea is not a drink I like auf mich zu und sagt noch einmal, aber nun anders betont, nicht mehr fragend, auch nicht überrascht, sondern als reine Drohung: «Was!»
«Er ist am Ende», sage ich. «Er kann sich nicht mehr rühren. Er ist fertig.» Gar nicht schlecht, denke ich, da ist mir ja doch etwas eingefallen. «Ihr seid viel stärker. Er hat keine Chance, das bringt doch nichts.»
«Wer bist denn du?»
Das kam nicht von bubbletea is not a drink I like , es kam von Y . Von ihm hatte ich es nicht erwartet. Er war mir harmlos vorgekommen, wie ein Mitläufer, ein Beistehender, fast ein Freund.
«Ich bin …» Aber meine Stimme ist nicht zu hören. Ich räuspere mich, jetzt geht es besser. «… niemand.» Die alte Antwort des Odysseus, erprobt und bewährt in Situationen wie dieser. «Ich bin niemand!»
Sie starren.
«Wenn er stirbt, bekommt ihr lebenslänglich.»
Sofort wird mir klar, dass das ein Fehler war. Erstens wird er nicht sterben, und zweitens bekommt niemand unter zwanzig lebenslänglich. Ein Heer von Jugendanwälten, Jugendrichtern und Jugendberatern verhindert es, keinem wird mehr so früh das Leben ruiniert, das weiß ich von meinem Priesterbruder. Aber wenn ich Glück habe, wissen sie es nicht.
«Ihr macht euch unglücklich. Die Polizei ist bestimmt schon unter –»
Es setzt sich wieder zusammen: Straße, Himmel, Stimmen, schattenhafte Gestalten über mir, und ich auf dem Boden, an die Hausmauer gelehnt. Mein Kopf schmerzt. Ich muss ohnmächtig gewesen sein.
Bleib sitzen! Du hast genug getan. Bei allen Heiligen und allen Teufeln und aller Schönheit der Welt, bleib sitzen!
Ich stehe auf.
Wie eigentümlich: Normalerweise entpuppen Menschen sich in Gefahr als kleiner, mutloser, erbärmlicher, als sie es vermutet haben. So ist es normal, so gehört es sich, so erwartet man es von sich selbst. Man ist überzeugt davon, dass man sich bei erster Gelegenheit als Feigling erweisen wird. Und jetzt das. Iwan Friedland, Ästhet, Kurator, Träger teurer Anzüge, ist ein Held. Darauf hätte ich verzichten können.
Ich komme auf die Beine. Mit der einen Hand stütze ich mich an der Mauer ab, mit der anderen rudere ich um Gleichgewicht. Diesmal muss ich gar nichts sagen – die pure Unverfrorenheit, die darin liegt,
Weitere Kostenlose Bücher