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F (German Edition)

F (German Edition)

Titel: F (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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großen Fernsehpreis bekommen.»
    «Es wäre viel einfacher, wenn es nichts gäbe.» Marie kroch unter die Bettdecke. «All die Leute und Autos und Bäume und Sterne. All die Ameisen und Bären und der viele Sand in der Wüste und der Sand auf anderen Planeten und das Wasser und Georg und die Chinesen und alles andere. Das ist so viel!»
    «Elke kann sich entwickeln. Die Geschichte kann in die unterschiedlichsten Richtungen gehen.»
    Es war nicht ganz dunkel unter der Decke, ein wenig Licht drang herein. «Kann ich hier schlafen?»
    «Nicht heute. Ich muss lernen.»
    «Aber es sind nur drei Seiten.» Marie hob die Decke etwas an, damit sie besser atmen konnte. Durch den Spalt sah sie Mamas Schminktisch mit dem Spiegel, sie sah das Bild mit dem Teddybären, das bis vor kurzem bei ihrem Vater gehangen hatte, und sie sah eine Ecke des Fensters.
    «Drei Seiten oder zwanzig oder hundert, darauf kommt es nicht an», sagte Mama gereizt. «Man muss eine Rolle erfassen. Man muss eine Haltung finden!»
    Marie schloss die Augen. Ihre Glieder kamen ihr schwer vor. Sie hörte Mama «Er ist mein Mann» murmeln, «der Vater meiner Kinder. Er ist mein Mann. Der Vater meiner Kinder». Dann musste sie für eine Weile eingeschlafen sein, denn Mama rüttelte sie sanft, und schon tappte sie an ihrer Hand durch den Flur. Im Kinderzimmer zog Mama ihr Hemd, Hose und Unterwäsche aus, streifte ihr den Pyjama über, legte sie hin, deckte sie zu, gab ihr einen Kuss, sodass die Haarspitzen auf ihrer Wange kitzelten. Die ganze Zeit über dachte Marie daran, dass sie sich nicht hatte die Zähne putzen müssen, Mama hatte es vergessen, manchmal hatte man Glück. Dann schloss sich die Tür, sie war allein.
    An der Decke glommen die blassen Lichtflecken der Straßenlaterne. Sie hörte den Apfelbaum an der Mauer kratzen. Sie hörte den Wind. Sie zog sich die Decke über den Kopf, jetzt hörte sie nur noch das Rascheln des Stoffs, aber wenn man ruhig lag, wirklich ganz ruhig, ohne zu atmen, dann hörte man gar nichts mehr, dann war da keine Welt und fast keine Marie. So ungefähr musste es sich anfühlen, ein Stein zu sein und dazuliegen, während die Zeit verging. Ein Tag, ein Jahr, hundert Jahre. Hunderttausend Jahre. Hundertmal hunderttausend Jahre.
    Dabei war ein Tag schon lang. So viele Tage noch bis zu den Sommerferien, so viele mehr bis Weihnachten und so viele Jahre, bis man erwachsen war. Jedes davon voller Tage und jeder Tag voller Stunden und jede Stunde eine Stunde lang. Wie sollten die vergehen, wie hatten es alte Leute nur geschafft, alt zu werden? Was tat man mit so viel Zeit?

2
    Die Bäume waren schon bunt, aber das Laub fiel noch nicht. Marie kam von der Schule, den Rucksack über der Schulter, ihr Telefon in der Hand, als sie sah, dass ein Mann am Gartentor wartete.
    «Marie?»
    Sie nickte.
    «Hast du Zeit?»
    Arthur war groß und blass und stand ein wenig zur Seite geneigt, als hätte er Rückenschmerzen, seine Haare waren sehr unordentlich. Er hielt ihr die Autotür auf, die Sitze rochen nach frischem Leder, auf dem Boden lag weder Schmutz noch das kleinste Stück Papier.
    Zwei Monate waren vergangen, seit Marie seinen Brief bekommen hatte. Es war der erste richtige Brief in ihrem Leben gewesen, Ligurna hatte ihn einfach so neben ihren Teller gelegt, als wäre das nichts Besonderes. Aber Ligurna interessierte sich ohnehin kaum mehr dafür, was bei ihnen vorging: Seit Mama ihr gekündigt hatte, schmeckte das Essen noch schlechter als früher, und auf den Regalen sammelte sich Staub. Sie würden auch das Haus nicht mehr lange halten können, hatte Mama gesagt, sogar mit Hilfe der Großeltern sei es zu teuer. Mama fand das traurig, aber Marie war es recht. Sie hatte das Haus nie gemocht.
    In dem Kuvert war nur ein einziges Blatt gewesen, beschrieben in einer erstaunlich lesbaren Handschrift. Bedauerlicherweise, schrieb Arthur, seien sie einander noch unbekannt, aber sie könne ihm jederzeit eine Nachricht schicken. Darunter stand eine E-Mail-Adresse, darunter seine Unterschrift.
    Lieber Arthur , hatte sie geantwortet, danke für deinen Brief, das ist Marie, geht es dir gut? Das ist meine Mailadresse. Mit freundlichen Grüßen, Marie.
    Eine Woche später war Antwort gekommen. Er wollte wissen, an welchem Tag sie Geburtstag hatte, in welche Klasse sie ging und ob gern oder ungern, neben wem sie saß, wie ihr dümmster Lehrer hieß, welche Fernsehsendung sie sehr und welche sie gar nicht mochte, ob sie gern rechnete, was sie über ihren

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