F (German Edition)
Vater dachte, was über ihre Mutter, was über Iwan und Martin, welche ihre Lieblingsfarbe war, ob Regen sie niedergeschlagen machte, wie oft sie über Iwans Verschwinden nachdachte, ob sie fand, dass man Tiere essen durfte, ob sie Mittwoch für einen besseren Tag hielt als Montag und, wenn ja, ob immer oder nur manchmal, und ob sie der Meinung war, dass man besser einem König gehorchen sollte, einem Präsidenten oder überhaupt niemandem. Er befragte sie zu Luftballons und Büchern, er befragte sie zu Teddybären und Puppen, er befragte sie zu ihren Freunden. Er fragte, warum sie seine Fragen bis zu dieser Stelle überhaupt beantwortet hatte, oder falls nicht, warum sie sie nicht hatte beantworten wollen, er bat sie, sich nicht zum Antworten gedrängt zu fühlen, bedankte sich für ihre Antworten und schloss mit einem knappen Gruß, ohne etwas von sich preisgegeben zu haben.
Sie hatte vor kurzem erst ein Telefon bekommen. Rot, glatt und kühl lag es in der Hand, hinten flach, vorn über die gesamte Fläche der Bildschirm, aber an das Tippen ohne Tasten hatte sie sich noch nicht gewöhnt. Ständig irrte man sich, immer wieder ersetzte das Korrekturprogramm die Wörter, die man geschrieben hatte, durch andere, die keinen Sinn ergaben, doch sie tippte und tippte. Schließlich war sie schon dreizehn, da brachten einen Fragen nicht so leicht in Verlegenheit. Als nach zwei Tagen noch nichts zurückgekommen war, schrieb sie: Lieber Arthur, hast du meine Mail bekommen, wie geht es dir? Können wir uns treffen? Mit freundlichen Grüßen, Marie.
Das Auto fuhr fast lautlos, sie sah sich um. Sie kannte diesen Stadtteil nicht und hatte keine Ahnung, wohin ihr Großvater sie brachte. Verputz blätterte von den Mauern, auf der Straße lagen weggeworfene Dosen.
«Weiß man inzwischen etwas?», fragte Arthur.
Sofort verstand sie, dass er Iwan meinte. «Nein, aber es gab neulich einen Artikel.»
Sie begann, auf ihrem Telefon zu suchen. Lesezeichen, Linkliste, hier war er schon: www.kunstkritikonline.de/sebastianzoellnersmeinung/eulenboeck . Sie räusperte sich. Sie las gern vor und freute sich, wenn sie in der Schule zum Vorlesen drankam, auch wenn sie immer so tat, als wäre es ihr unangenehm, denn wer wollte schon ein Streber sein. Sie betonte richtig, sie verlas sich selten, und bei schwierigen Wörtern musste sie kaum je stottern. Nie würde sie so schön wie Mama werden, aus ihr würde keine Schauspielerin, aber ihre Stimme war tadellos.
Was sagt es aus über diese fragmentierte Gesellschaft, dass ausgerechnet Heinrich Eulenböck Nationalkünstler der Stunde ist? Brauchen wir so sehr einen Dandy für die Mittelklasse, ja haben wir wirklich so große Angst vor der Unsicherheit, dass wir es für nötig halten, uns in den Schutzpanzer der Ironie zu hüllen? Offenbar lautet die Antwort: ja. Nur wenige Künstler konnten in der Krise ihren Preis halten, ihn erhöhen konnte kaum einer. Verschreckte Sammler traten lieber leise und investierten in Betongold oder gleich in Nuggets für den Tresor im Keller. Bluechips-Maler wurden rar wie fliegende Elefanten. Wieso erwies sich ausgerechnet dieser handwerklich solide Ironie-Klassizismus plötzlich als sichere Bank? Eulenböcks Bilder werden Händlern und Auktionshäusern für Rekorderlöse aus den Händen gerissen wie geschnitten Brot.
«Machen wir uns nichts vor», erklärt der Chefkurator der Freien Galerie Bochum , Hans-Egon Eggert. «Es liegt an der Politik des neuen Nachlassverwalters: eine hundertachtzig-Grad-Kurskorrektur mit dem Ziel, Kohle zu machen.» Der Hintergrund: Seit August vorigen Jahres wird Iwan Friedland, der umtriebige Erbe des Meisters, spurlos vermisst. «Friedlands Hauptaugenmerk galt der Pflege von Eulenböcks Renommee», erläutert Eggert. «Da hat sich, um es vorsichtig auszudrücken, der Schwerpunkt verschoben.» Kritischer noch sieht es der Direktor des Hamburger Koptmanmuseums , Karl Bankel: «Das Werk eines bedeutenden Künstlers zu betreuen ist eine hochkomplexe Aufgabe. Die wenigsten sind ihr gewachsen. Iwan Friedland war es nicht. Sein Nachfolger ist es noch weniger.»
In der Kunstszene war es stets ein offenes Geheimnis, dass Friedland seine Position nicht etwa besonderer Kompetenz, sondern einem Naheverhältnis zum greisen Malerfürsten verdankte. Seine umstrittene Tätigkeit verunsicherte Sammler, aber hielt die Preise moderat. Unter Eric Friedland, dem zunächst provisorischen und inzwischen wohl auch permanenten Nachfolger seines Bruders, hat
Weitere Kostenlose Bücher