Fabelheim: Roman (German Edition)
Grades deines Großvaters. Ein Mann, dem er vertraut.«
Kendra blickte in ihren leeren Becher. Auf dem Boden hatte sich ein runder Rest von Schokolade abgelagert. »Ich habe eine Frage«, sagte sie, »und ich möchte, dass Sie sie ehrlich beantworten.«
»Wenn ich kann.«
»Ist Oma Sørensen tot?«
»Wie kommst du auf diese Idee?«
»Ich denke, dass Opa faule Ausreden dafür erfindet, warum sie nicht hier ist. Dies ist ein gefährlicher Ort. Er hat auch wegen anderer Dinge gelogen. Ich habe zunehmend das Gefühl, dass er uns vor der Wahrheit schützt.«
»Ich frage mich oft, ob Lügen jemals vor etwas schützen können.«
»Sie ist tot, nicht wahr?«
»Nein, sie lebt.«
»Ist sie die Hexe?«
»Sie ist nicht die Hexe.«
»Besucht sie wirklich Tante Soundso in Missouri?«
»Das muss dir dein Großvater erzählen.«
Seth blickte über die Schulter. Bis auf die umherflatternden Feen wirkte der Garten ruhig. Opa und Dale waren schon lange weg. Lena war im Haus und wischte Staub. Kendra beschäftigte sich mit irgendwelchen langweiligen Dingen. Er hatte seine Notfallausrüstung dabei, zusammen mit einigen strategischen Ergänzungen. Die Operation Coole Monster sehen konnte beginnen.
Er trat zögernd vom Rand des Rasens in den Wald, wobei er halb damit rechnete, dass Werwölfe ihn anspringen würden. Vor sich sah er ein paar Feen, aber nicht so viele wie im Garten. Davon abgesehen wirkte alles ziemlich gleich.
Er marschierte in flottem Tempo los.
»Was glaubst du, wo du hingehst?«
Seth fuhr herum. Kendra kam aus dem Garten. Er ging zu ihr zurück bis zum Rand des Rasens. »Ich möchte sehen, was wirklich in dem See ist. Diese Najadingsdas und solche Sachen.«
»Bist du geistesgestört? Hast du kein Wort von dem gehört, was Opa uns gestern erzählt hat?«
»Ich bin ja vorsichtig! Ich werde nicht in die Nähe des Wassers gehen.«
»Du könntest getötet werden! Ich meine, wirklich getötet, nicht von einer Zecke gebissen. Opa hat diese Regeln aus einem guten Grund aufgestellt!«
»Erwachsene unterschätzen Kinder immer«, sagte Seth. »Sie wollen uns beschützen, weil sie uns für Babys halten. Denk darüber nach. Mom hat sich die ganze Zeit darüber aufgeregt, wenn ich auf der Straße gespielt habe. Aber ich habe es trotzdem immer gemacht. Und was ist passiert? Nichts. Ich habe aufgepasst. Wenn ein Auto kam, bin ich ihm aus dem Weg gegangen.«
»Das ist was total anderes!«
»Opa geht auch überall hin.«
Kendra ballte die Hände zu Fäusten. »Opa weiß, welche Stellen er meiden muss! Du weißt nicht einmal, womit du es zu tun hast. Außerdem, wenn Opa das rauskriegt, wirst du für den Rest unseres Aufenthalts hier auf dem Dachboden festsitzen.«
»Und wie soll er es rauskriegen?«
»Beim letzten Mal wusste er auch, dass wir im Wald waren! Er wusste, dass wir die Milch getrunken hatten!«
»Weil du dabei warst! Dein Pech hat auf mich abgefärbt. Woher wusstest du, wo ich hin wollte?«
»Deine Geheimagentenfähigkeiten brauchen noch ein wenig Schliff«, meinte Kendra. »Ein guter Anfang wäre vielleicht, wenn du nicht jedes Mal, wenn du auf Entdeckungsreise gehst, dein Tarnhemd anziehen würdest.«
»Ich muss mich vor den Drachen verstecken!«
»Klar. Du bist praktisch unsichtbar. Nur ein Kopf, der durch die Luft schwebt.«
»Ich habe meine Notfallausrüstung. Wenn mich irgendetwas angreift, kann ich es damit verscheuchen.«
»Mit Gummibändern?«
»Ich habe eine Pfeife. Ich habe einen Spiegel. Ich habe ein Feuerzeug. Ich habe Knaller. Sie werden denken, ich bin ein Zauberer.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Und ich habe das da.« Er zog den kleinen Schädel in der Kristallkugel heraus, die auf Opas Schreibtisch gelegen hatte. »Wenn sie das sehen, werden sie es sich bestimmt zweimal überlegen.«
»Ein Schädel von der Größe einer Erdnuss?«
»Wahrscheinlich gibt es nicht mal irgendwelche Monster«, meinte Seth. »Wieso glaubst du, dass Opa diesmal die Wahrheit sagt?«
»Ich weiß nicht, vielleicht die Feen?«
»Na spitze, gut gemacht. Du hast es vermasselt. Du kannst dir gratulieren. Jetzt kann ich nicht mehr gehen.«
»Ich werde es jedes Mal vermasseln. Nicht weil ich eine Nervensäge sein will, sondern weil du wirklich verletzt werden könntest.«
Seth trat gegen einen Stein und kickte ihn in den Wald. »Was soll ich jetzt machen?«
»Wie wär’s, wenn du den riesigen Garten voller Feen erkunden würdest?«
»Das hab ich bereits. Ich kann sie nicht fangen.«
»Du sollst
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