Fabelheim: Roman (German Edition)
kicherte. »Hatte unser tapferer Abenteurer ein Missgeschick? Hat sein schlaues Mundwerk ihn zu guter Letzt verraten?«
»Sie wissen, was geschehen ist«, sagte Opa.
»Ich weiß, ich weiß«, gackerte sie. »Ich wusste, dass er unverschämt ist, aber solche Grausamkeit hätte ich ihm nicht zugetraut! Sperrt ihn in eine Scheune, sage ich. Um der Feen willen. Sperrt ihn gut ein.«
»Können Sie ihn zurückverwandeln?«, fragte Opa.
»Ihn wiederherstellen?«, rief die Hexe aus. »Nach dem, was er getan hat?«
»Es war ein Unfall, wie Sie sehr wohl wissen.«
»Warum bittest du mich nicht gleich, einen Mörder vor dem Strick zu retten? Einem Verräter seine Schmach zu ersparen?«
»Können Sie es tun?«
»Soll ich ihm auch noch einen Orden herbeizaubern? Ein Ehrenabzeichen für sein Verbrechen?«
»Können Sie es?«
Muriel hörte auf, sich zu verstellen. Sie musterte ihre Besucher mit einem verschlagenen Gesichtsausdruck. »Du kennst den Preis.«
»Ich werde keinen Knoten lösen«, sagte Opa.
Muriel warf ihre knorrigen Hände in die Luft. »Du weißt, dass ich die Energie des Knotens für den Zauber brauche«, erwiderte sie. »Bei ihm wirken mehr als siebzig verschiedene Zauber. Du müsstest siebzig Knoten lösen.«
»Wie wäre es mit ...«
»Kein Feilschen. Ein Knoten, und dein garstiger Enkel
wird seine ursprüngliche Gestalt zurückerhalten. Ohne den Knoten wäre ich nicht in der Lage, den Zauber zu wirken. Das ist Feenmagie. Du kanntest den Preis, bevor du gekommen bist. Kein Gefeilsche.«
Opas Schultern sackten ein Stück nach unten. »Zeigen Sie mir das Seil.«
»Leg den Jungen auf meine Türschwelle.«
Dale tat wie ihm geheißen. Muriel stand in der Tür und hielt Opa das Seil hin. Es waren zwei Knoten darin. Beide waren verkrustet von getrocknetem Blut. Einer war noch feucht von Speichel. »Such dir einen aus«, sagte sie.
»Aus eigenem freien Willen löse ich diesen Knoten«, sagte Opa. Dann beugte er sich vor und blies sachte auf einen der beiden Knoten. Er entwirrte sich.
Die Luft erbebte. An heißen Tagen hatte Kendra die Luft in der Ferne flimmern sehen. Das hier sah ähnlich aus, spielte sich jedoch direkt vor ihren Augen ab. Sie spürte pulsierende Vibrationen, als stünde sie während eines lauten Konzerts direkt vor einem Basslautsprecher. Der Boden schien sich zu neigen.
Muriel hielt eine Hand über Seth und murmelte eine Beschwörungsformel. Sein Schwabbelspeck kräuselte sich, als würde er innerlich kochen. Es sah aus, als hätte er tausend Würmer unter der Haut, die sich einen Weg nach draußen bahnten. Faulige Dämpfe stiegen von ihm auf. Sein Fett schien zu verdampfen und sein unförmiger Körper zuckte.
Der Boden begann, noch mehr zu schwanken, und Kendra musste die Arme ausbreiten, um nicht hinzufallen. Dann wurde schlagartig alles finster, wie bei einem Blitz aus Dunkelheit statt Licht. Kendra stolperte und konnte nur mit Mühe das Gleichgewicht wahren.
Das eigenartige Gefühl verschwand. Die Luft klärte
sich, und alles war wieder ruhig. Seth richtete sich auf. Er sah genauso aus wie vor der Rache der Feen. Keine Stoßzähne. Keine Flossen. Keine Atemlöcher. Nur ein elfjähriger junge mit einem Handtuch um die Taille. Er rollte sich von dem Schuppen weg und rappelte sich hoch.
»Zufrieden?«, fragte Muriel.
»Wie fühlst du dich, Seth?«, erkundigte sich Opa.
Seth klopfte sich auf die nackte Brust. »Besser.«
Muriel grinste. »Danke, kleiner Abenteurer. Du hast mir heute einen großen Dienst erwiesen. Ich stehe in deiner Schuld.«
»Du hättest es nicht tun sollen, Opa«, sagte Seth.
»Es musste sein«, erwiderte er. »Wir gehen jetzt besser.«
»Bleibt doch noch ein Weilchen«, bot Muriel an.
»Nein danke«, sagte Opa.
»Sehr schön. Weist meine Gastfreundschaft nur zurück. Kendra, es war schön, dich kennenzulernen, mögest du weniger Glück haben, als du verdienst. Dale, du bist so stumm wie dein Bruder und fast genauso bleich. Seth, hab bitte bald ein weiteres Missgeschick. Stan, du hast nicht mal den Verstand eines Orang-Utans, gesegnet sei deine Seele. Lasst mal wieder was von euch hören.«
Kendra gab Seth Socken, Schuhe, Shorts und ein Hemd. Sobald er sie angezogen hatte, kehrten sie auf den Pfad zurück.
»Kann ich auf dem Rückweg in der Schubkarre sitzen?«, fragte Seth.
»Diesmal solltest du mich schieben«, grummelte Dale.
»Wie hat es sich angefühlt, ein Walross zu sein?«, fragte Kendra.
»Ist es das, was ich war?«
»Ein mutiertes,
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