Fabelheim: Roman (German Edition)
vor der bemalten, lebensgroßen Statue standen, schüttelte Oma den Kopf. »Diesen speziellen Zauber habe ich noch nie gesehen, aber das ist ganz eindeutig Dale.«
»Kannst du ihm helfen?«, fragte Kendra.
»Vielleicht, wenn ich genügend Zeit habe. Um einen
Zauber aufheben zu können, muss man wissen, wer ihn auf welche Weise gewirkt hat.«
»Wir haben Spuren gefunden«, sagte Seth. Er zeigte Oma den Abdruck in dem Blumenbeet. Obwohl er mittlerweile ein wenig verwischt war, war er immer noch zu erkennen.
Oma runzelte die Stirn. »Dieser Abdruck kommt mir nicht bekannt vor. In Festnächten laufen viele Geschöpfe frei herum, denen wir ansonsten nie begegnen – was auch der Grund ist, warum wir im Haus Zuflucht suchen. Der Abdruck hat vielleicht gar keine so große Bedeutung. Er könnte von dem Übeltäter stammen oder von seinem Reittier, vielleicht ist das Wesen aber auch nur rein zufällig irgendwann während der Nacht hiergewesen.«
»Also ignorieren wir Dale für den Augenblick einfach?« , fragte Kendra.
»Ich fürchte, wir haben keine andere Möglichkeit. Die Zeit ist knapp. Wir können nur hoffen, dass euer Großvater Licht in die Angelegenheit bringen kann. Vielleicht finden wir dann einen Weg, den Fluch wieder aufzuheben. Kommt mit.«
Sie kehrten ins Haus zurück. Oma sprach über die Schulter gewandt weiter, während sie die Treppe zum ersten Stock hinaufgingen. »Es gibt innerhalb des Hauses mehrere speziell geschützte Orte. Einer davon ist der Raum, in dem ihr gewohnt habt. Doch es gibt noch einen zweiten Raum auf der anderen Seite des Dachbodens.«
»Ich wusste es!«, rief Kendra. »Ich konnte von draußen sehen, dass da noch mehr auf dem Dachboden sein muss. Aber ich habe nie einen Eingang gefunden.«
»Du hast wahrscheinlich am falschen Ort gesucht«, sagte Oma und führte sie durch den Flur in ihr Zimmer. »Die beiden Hälften des Dachbodens sind nicht miteinander
verbunden. Sobald wir oben sind, werde ich euch in meine Strategie einweihen.« Oma hockte sich hin und durchsuchte einen zerschmetterten Nachttisch. Sie nahm ein paar Haarnadeln heraus und band ihr Haar zu einem matronenhaften Dutt zusammen. Sie suchte noch eine Weile weiter und hielt schließlich einen Schlüssel in der Hand. Dann gingen sie ins Hauptbadezimmer, wo Oma mit dem Schlüssel eine Schranktür aufsperrte.
Statt Handtüchern oder dergleichen kam eine zweite Tür zum Vorschein. Sie war aus Stahl und hatte ein großes Kombinationsschloss in der Mitte. Eine Tresortür. Oma begann an dem Rad zu drehen. »Vier Drehungen nach rechts auf II, drei nach links auf 28, drei nach rechts auf 3, eine nach links auf 31, und eine halbe Umdrehung nach rechts auf 18.«
Sie zog an einem Hebel, und die schwere Tür schwang auf. Eine mit Teppich ausgelegte Treppe führte zu einer weiteren Tür hinauf. Oma ging voraus. Seth und Kendra folgten ihr auf den Dachboden.
Oma legte einen Schalter um, und mehrere Lampen verscheuchten die Dunkelheit. Der Raum war noch größer als das Spielzimmer. An einem Ende stand eine große Werkbank, über der jede Menge Werkzeuge hingen. Die Wände wurden von hübschen Holzschränkchen gesäumt. Außerdem befanden sich in dem Raum verschiedene ungewöhnliche Gegenstände – ein Vogelkäfig, ein Grammophon, eine Streitaxt, eine Balkenwaage, eine Schaufensterpuppe und ein Globus mit über einem Meter Durchmesser. Truhen und Kisten waren in Reihen auf dem Boden geordnet und ließen gerade genug Platz, um zwischen ihnen hindurchzugehen. Schwere Vorhänge verdeckten die Fenster.
Oma bedeutete ihnen, zu der Werkbank hinüberzugehen,
wo sie sich auf einen Hocker setzten. »Was ist in all den Kisten?«, erkundigte sich Seth.
»Viele Dinge, die meisten davon gefährlich. Dies ist der Ort, an dem wir unsere kostbarsten Waffen und Utensilien aufbewahren. Zauberbücher, Zutaten für Tränke, all die guten Sachen.«
»Kannst du uns jetzt mehr über Opa erzählen?«, fragte Kendra.
»Ja. Ihr habt gehört, wie Nero gesagt hat, dass Stan und Lena in der Vergessenen Kapelle festgehalten werden. Wir müssen einen kurzen Ausflug in die Geschichte unternehmen, damit ihr versteht, was es damit auf sich hat. Vor langer Zeit wurde dieses Land von einem mächtigen Dämon namens Bahumat heimgesucht. Jahrhundertelang hat er die Bewohner dieser Region terrorisiert. Sie lernten, gewisse Bereiche zu meiden, doch selbst mit diesen Vorsichtsmaßnahmen war kein Ort hier wirklich sicher. Die Menschen brachten dem Dämon alle Opfer
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