Fabelheim: Roman (German Edition)
Seth.
»Ein weiterer Segen. Ihr Mist ist der beste Dünger der Welt und lässt Pflanzen schneller wachsen als gewöhnlich; manchmal erreichen sie dadurch unglaubliche Ausmaße. Durch die Kraft ihres Dungs können wir mehrere Ernten pro Jahr einfahren, und viele tropische Pflanzen in diesem Reservat würden ohne Violas Mist eingehen. Habt ihr Milch für die Feen nach draußen gestellt?«
»Nein«, sagte Seth. »Wir haben alles in den Abfluss gegossen. Wir wollten vor allem die Kuh beruhigen.«
»Ist nicht so wichtig. Wenn keine Milch da ist, werden die Feen zwar ein wenig übellaunig, aber sie werden darüber hinwegkommen. Wir werden dafür sorgen, dass sie spätestens morgen etwas bekommen.«
»Also wird Viola normalerweise von Hugo gemolken«, schlussfolgerte Kendra.
»Richtig. Das gehört zu seinen festen Aufgaben. Daher muss es einen Grund geben, warum er sie während der vergangenen zwei Tage nicht ausgeführt hat. Ihr habt ihn seit der Mittsommernacht nicht mehr gesehen?«
»Nein.«
»Er hat wahrscheinlich den Auftrag bekommen, über Warren und die Hütte zu wachen, bis er einen anderen Befehl erhält. Er müsste kommen, wenn wir nach ihm rufen.«
»Könnte ihm etwas zugestoßen sein?«, wollte Seth wissen.
»Ein Golem mag als kaum mehr erscheinen als belebte Materie mit rudimentärer Intelligenz. Aber die meisten Geschöpfe in diesem Reservat fürchten Hugo. Nur wenige könnten ihm etwas antun, selbst wenn sie es versuchten. Er wird unser wichtigster Verbündeter bei der Rettung eures Großvaters sein.«
»Was ist mit Warren?«, fragte Kendra. »Wird er uns auch helfen?«
Oma legte die Stirn in Falten. »Ihr seid ihm deshalb nicht begegnet, weil sein Geist zerstört wurde. Dale ist vor allem in diesem Reservat geblieben, um für ihn zu sorgen. Warren ist in eine katatonische Starre verfallen. Fabelheim hat viele Geschichten. Seine Geschichte ist die Tragödie eines Menschen, der sich in Bereiche gewagt hat, in denen er nichts zu suchen hatte. Warren wird uns keine Hilfe sein.«
»Ist sonst noch jemand da?«, fragte Seth. »Die Satyre vielleicht?«
»Satyre?«, rief Oma aus. »Wann habt ihr mit Satyren zu tun gehabt? Ich werde wohl ein Wörtchen mit eurem Großvater reden müssen, wenn wir ihn finden.«
»Wir sind ihnen zufällig im Wald begegnet«, beschwichtigte Kendra. »Wir haben Eintopf aus etwas genommen, das aussah wie ein Brunnen, und sie haben uns erklärt, dass wir in Wirklichkeit eine Ogerin bestehlen.«
»Diese Schurken wollten eher ihre niederträchtigen Absichten schützen als euch«, schnaubte Oma. »Sie stehlen
schon seit Jahren den Eintopf der Ogerin. Die Tunichtgute wollten nicht, dass sie ihre Diebstahlvorrichtung neu bauen müssen – das hätte ihnen wahrscheinlich zu sehr nach Arbeit gerochen. Die Satyre verbringen ihr Leben im Leichtsinn. Freunde sind sie nur in guten Tagen. Euer Großvater und ich bringen einigen Wesen in diesem Reservat großen Respekt entgegen, und sie uns, dennoch gibt es hier nicht viel mehr Loyalität, als man sie auch in freier Wildbahn finden würde. Die Herde sieht ungerührt zu, wenn kranke oder verletzte Geschöpfe von Raubtieren erlegt werden. Wenn euer Großvater gerettet werden soll, müssen wir schnell handeln, und niemand außer Hugo wird uns dabei helfen.«
Es war später Nachmittag, als sie den Garten erreichten. Oma stand da, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und ließ den Anblick auf sich wirken. Das zerstörte Baumhaus, die geschändeten Möbelstücke, die überall im Garten verstreut lagen, und die glaslosen Fensterrahmen.
»Ich habe Angst, hineinzugehen«, murmelte sie.
»Erinnerst du dich nicht daran, wie schlimm es ist?«, fragte Kendra.
»Sie war ein Huhn, weißt du noch?«, erwiderte Seth. »Wir haben ihre Eier gegessen.«
Auf Omas Stirn erschienen Falten. »Es fühlt sich an wie ruchloser Verrat, das eigene Heim so verwüstet zu sehen«, sagte sie leise. »Ich weiß, dass finstere Kreaturen in den Wäldern hausen, aber so weit sind sie noch nie gegangen.«
Kendra und Seth folgten Oma durch den Garten und die Verandastufen hinauf. Oma bückte sich und hob eine kupferne Triangel auf. Früher hatte sie – daran erinnerte
Kendra sich noch – zwischen den Windspielen gehangen. An einer Perlenkette baumelte ein kurzer Kupferstab, und Oma schlug damit die Triangel an. »Das sollte Hugo herbeiholen«, erklärte sie. Oma blieb noch einmal in der Tür stehen, bevor sie hineinging. »Es sieht so aus, als wären wir
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