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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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durfte.
    Dannys und Colins Vorbilder hatten im Fernsehen gelebt, in den alten Spielfilmen, die spätabends über die Bildschirme flackerten: Paul Newman, Robert Taylor, Sean Connery, James Stewart, Gregory Peck, Spencer Tracey -das waren die Helden ihrer kurzen Kindheit gewesen, aber nicht unbedingt Archibald Darcy.
    »Wo sind deine Gedanken, Colin Darcy?« Livia saß neben ihm im Rover.
    »Überall«, antwortete Colin ihr und lächelte sie an wie damals, als er ihr auf dem Friedhof begegnet war.
    »Es ist seltsam hier«, bekannte sie, »so fremd und doch vertraut. Fast wie ein Film, bei dem man eingeschlafen ist und später nicht mehr weiß, ob man ihn gesehen hat oder nicht. Aber manche Szenen kommen einem auch später noch bekannt vor. So ist es hier, so ist euer Rio Bravo - jedenfalls für mich.«
    Sie fuhren durch eine Landschaft, die nicht ganz Texas und nicht ganz Schottland war, aber wenn die beiden Nachwuchs gezeugt hätten, dann wäre eine ähnliche Gegend dabei herausgekommen.
    Dünen aus hellem Sand und grüne Hügel wechselten einander ab, was kein Problem für den Antrieb des Rovers war. Es gab keine anderen Dörfer in der näheren Umgebung von Rio Bravo, dafür aber sah man hin und wieder eine Ranch, die wie gezeichnet aussah, skizzenhaft.
    »Wer lebt dort drüben?«
    »Keine Ahnung.« Danny zuckte die Achseln. »Die Landschaft nimmt meistens erst dann Form an, wenn wir uns darin aufhalten. Je weiter etwas weg ist, umso unfertiger sieht es aus.«
    »Hat das einen Grund?«, fragte Livia.
    »Bestimmt.«
    »Tolle Antwort, und welchen?«
    »Wir kennen ihn nicht, aber alles hat doch einen Grund.« Danny zupfte sich am Bart, was ihn einen kurzen Moment lang wie das Kind erscheinen ließ, das er einmal gewesen war, wenngleich mit der Einschränkung, dass er als Kind natürlich keinen Vollbart gehabt hatte. Er schaute konzentriert geradeaus, steuerte den Wagen über einen großen Stein, und dann stellte er fest: »Dort vom ist er.«
    In der Tat, da war er! Der Canyon lag vor ihnen. Something wicked this way comes. Further on up the road. Something really, really wicked. Down by the river...
    Es war eine schmale Öffnung zwischen hohen Felsen, eine Öffnung, die in eine schmale und tiefe Schlucht führte, in der irgendwo weiter hinten die Mondmoore lagen. Alles sah hier aus wie bei John Ford, nur kleiner und schottischer.
    Danny parkte den Rover gleich neben dem Eingang zur Schlucht.
    Er stieg aus und betrachtete das, was vor ihm lag.
    »Du kommst besser nicht mit«, sagte Colin und trat hinter seinen kleinen Bruder. Danny starrte auf seine Stiefelspitzen. »Glaubst du, ihr schafft es allein?«
    Colin klopfte seinem Bruder auf die Schulter, wie er es früher immer getan hatte. »Du kannst nicht mitkommen.« Madame Redgrave durfte ihn noch nicht in die Finger bekommen. Wenn sie das doch täte, dann würde der Plan nicht funktionieren. Wenn Danny aber in seinem Versteck in Rio Bravo blieb, dann war alles möglich.
    »Wenn das, was du uns gesagt hast, wirklich stimmt«, sagte Danny zu Livia mit leiser Stimme, »dann ...« Er beendete den Satz nicht, sondern sah seinen Bruder an. »Hätten wir das jemals gedacht? Früher, meine ich.«
    »Als wir klein waren?«
    Danny musste lachen unter seinem dichten Bart. »Ja, als wir ganz, ganz klein waren.« So standen sie eine Weile nebeneinander.
    »Wir beide gegen den Rest der Welt«, stellte Danny fest und musste grinsen. Colin erwiderte das Grinsen. »Wir beide, wie damals.«
    Beide aber dachten etwas völlig anderes: Wir beide gegen Helen Darcy, das dachten sie, wir beide gegen Ravenscraig, wir beide gegen alles, was einst war und uns nicht loslassen will.
    Und beide wussten sie, das war ganz klar, dass »wir beide« nun drei Personen waren.
    »Was ist, wenn ihr Hilfe braucht?«, fragte Colin.
    »Wir müssen allein klarkommen. Wenn dort wirklich dünne Stellen sind, dann könnte dich jemand sehen. Es ist einfach zu riskant, dich mitzunehmen.«
    »Wir kommen aber zurück«, versprach Livia.
    »Das hoffe ich.«
    »Bis später«, sagte Colin.
    Danny hob zum Abschied die Hand und ging zum Rover zurück.
    Colin sah ihm hinterher und fragte sich, wann er ihn wohl wiedersehen würde. Dies war ein unentdecktes Land, mehr noch, es war ein wüstes Land, so wüst wie jenes, über das T. S. Eliot geschrieben hatte.
    Er griff sich instinktiv an die Hüften, wo früher die Revolver mit den Sandelholzgriffen gehangen hatten und wo jetzt gar nichts mehr hing, weil er erwachsen geworden

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