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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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drinnen war.«
    »Ja«, flüsterte Colin, als sei es eine Beschwörungsformel. »Nachdem wir die Burdettes in die Flucht geschlagen hatten, ist einiges anderes geworden.«
    Helen Darcy, die wusste, dass ihre Jungs sich selbst gehörten, war dazu übergegangen, ihren Mann zu kritisieren. Sofern Archibald Darcy früher die Ruhe gehabt hatte, mit seinen Söhnen die Küste entlangzuwandern und Vögel zu beobachten, so war er in den Jahren, in denen die Jungs größer und älter geworden waren, immer öfter in Ravenscraig geblieben. Still war er seinen Geschäften nachgegangen.
    »Erinnerst du dich an die toten Fische?«, fragte Colin und wusste nicht einmal, warum er gerade das wissen wollte.
    »Ja«, sagte Danny. »Als wir aus Rio Bravo zurückkehrten, da waren sie alle tot.«
    »Und Papa hatte sein Lachcn verloren.«
    »Stimmt.«
    Livia schaltete sich ein. »Aber das hatte nichts mit euch beiden zu tun, oder?«
    Sie sahen das Friedhofsmädchen an, das jetzt eine schöne Frau war.
    »Was immer Helen Darcy mit den Fischen angestellt hatte, es war nicht eure Schuld.«
    Beide Darcys schwiegen.
    »War sie wirklich so böse?« Danny schaute auf, nahm die Gitarre auf den Schoß und griff einen flüchtigen Riff, der niemals Dur sein würde.
    »Ja«, sagte Colin. »Das war sie.«
    Blood Money.
    Bon Jovi, die ersten Riffs.
    Danny spielte eine leise, ruhige Melodie, die zu einem anderen Lied wurde.
    Where the streets have no name.
    »Ich kann mich jetzt wieder erinnern, weißt du. Die ganze Zeit über konnte ich es nicht. Deswegen bin ich auch fortgegangen. Deswegen ...« Er stockte, sah seinem Bruder in die Augen.
    I want to run.
    I want to hide.
    I want to tear down the walls.
    That hold me inside.
    »Deswegen wollte ich dich nicht sehen. Ich wusste, dass ich dann wieder an alles denken würde. Es wäre alles wieder da gewesen, wenn wir uns gesehen hätten.«
    Colin nickte. »Ich weiß.« Er konnte nichts anderes sagen, denn das, davon war er überzeugt, war die Wahrheit.
    Where the streets have no name.
    Deswegen waren sich Danny und er all die Jahre aus dem Weg gegangen. Eine andere Lösung hatte es nicht gegeben. Es war die einzige Möglichkeit gewesen, Ravenscraig und Helen Darcy zu entkommen. Dies alles zu vergessen.
    Danny spielte eine neue Melodie. Sie wurde einfach so aus der anderen geboren, und Livia und Colin lauschten ihr.
    How can a poor man stand such times and live.
    »Bruce Springsteen«, sagte Danny.
    Er spielte es, und danach, auf Wunsch Livias, folgte ein Lied, bei dem sie alle mitsangen.
    This little light ofme.
    Es tat gut, einfach am Feuer zu sitzen und zu singen.
    Musik, das erfuhr auch Livia jetzt, konnte ebensolche Geschichten erzählen, wie Colin es mit seinen Worten in Black Head getan hatte. Das war Dannys Begabung. Er spielte Musik, und die Melodien konnten das tun, was Colins Geschichten konnten. Sie zauberten neue Welten in die Augen derer, die zuhörten.
    Es war reines Fabulieren.
    Und so schön.
    Eine ganze Weile sangen die drei, einfach nur, weil es ihnen gut tat. Es ließ sie vergessen, woran sich zu erinnern sie gezwungen worden waren. Es war gut, es war richtig, es war das, was Seelen heilte.
    »Und was machen wir jetzt?«, fragte Livia trotzdem irgendwann, nachdem die letzten Takte von Jacob's Ladder verklungen waren und mit den wilden Windhexen nach Westen zogen.
    Die beiden Männer, die keine Jungs mehr waren, schauten Livia an.
    »Wir haben noch immer ein Problem«, erinnerte sie die beiden.
    »Madame Redgrave«, sagte Danny.
    »Und Mr. Moon«, sagte Colin.
    »Außerdem haben wir keine Ahnung, woher das gelbe Band am Ast auf dem Friedhof kam.«
    Tie a yellow ribbon.
    Natürlich dachten sie an die Beerdigung.
    Archibald Darcys Beerdigung.
    »Wer hat es dort angebunden, wenn nicht du?«, fragte Colin laut. »Und warum? Und woher wusste Constable Plummer, dass wir uns gerade an diesem Morgen auf dem Galloway Graveyard aufhalten? Und, nicht zuletzt, warum wollte er uns überhaupt sprechen?« Colin hoffte jedenfalls nicht, dass man ihn wegen der Sache in seinem London-Leben verhaften wollte, das wäre lächerlich.
    Und definitiv sehr störend.
    Colin seufzte.
    Ein grauenhafter Gedanke kam ihm, mit einem Mal. Er traf ihn wie ein greller, heißer Blitzschlag. »Was ist, wenn wir uns in einer ihrer Geschichten befinden?«
    Dream a little dream of me.
    Danny starrte ihn an, wurde für einen Sekundenbruchteil kreidebleich, »Mutter weiß nicht, wie Rio Bravo aussieht«, gab er zu bedenken. »Sie

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