Fabula
immer hier, und ich werde auch immer da sein.«
Colin konzentrierte sich auf Livias Augen, und als er sein Spiegelbild in ihnen erkannte, da wusste er, was Wahrheit und was Lüge war. Er zog sie zu sich und küsste sie, und als er das tat, da barst das Eis, und die Helen Darcy, die dort unten in den grellen, kalten Lichtgefilden des Mondes lebte, war verschwunden.
Sie war einfach nicht mehr da.
»Wo ist sie hin?«, fragte Livia, als sie wieder klar sehen konnte.
»Sie ist wieder im Mond.«
Beide betrachteten sie die Wasseroberfläche.
»Ist es vorbei?«
Colin nickte. »Irgendwie hat sie wohl einen Weg gefunden, die Nase nach Rio Bravo zu stecken.« »Hast du eine Ahnung, wie sie das gemacht hat?« »Sehe ich so aus?«
Sie musste lachen. »Nein, bestimmt nicht.«
Der Wind, der ihnen ins Gesicht wehte, war noch immer eiskalt. Die Mondmoore waren jetzt wieder ganz ruhig. Niemand, keine einzige Mutter und auch keine andere Kreatur, schwamm jetzt in den hellen Wassern, und niemand sprach mehr zu ihnen.
»Was hat sie dir gezeigt?«, wollte Colin wissen.
Livia sagte es nicht. »Wenn wir anfangen und darüber reden, dann hat sie gewonnen. Wenn wir es nicht tun, werden wir selbst es vergessen.«
»Ja«, sagte er, weil er wusste, dass sie recht hatte.
»Und jetzt?«
»Jetzt tun wir, weswegen wir hergekommen sind.«
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Danny ist auch der Meinung, dass dies der richtige Weg ist.«
»Aber er hatte keine Ahnung, was wir tun sollen.«
Colin nickte.
Dann murmelte er: »Wie kommen wir von hier nach Culzean Castle?«
Livia gab ihm keine Antwort. Vermutlich kam ihr das, was sie hier und jetzt vorhatten, ebenso blödsinnig vor wie Colin selbst.
Dann hörte Colin eine Stimme hinter seinem Rücken: »Als ich klein war, da hatte ich eine unbändige Angst vor dem Meer. Weißt du, wie ich damals, als ich klein war, die Angst vor dem Wasser verloren habe?«
»Wie?«
Colin spürte einen kräftigen Stoß. »So«, hörte er Livia hinter sich sagen.
Die Wasser der Mondmoore kamen rasant schnell näher, und dann war es auch schon zu spät.
Colin stürzte kopfüber ins Wasser, und die weiße, helle Eiseskälte griff nach ihm und zerrte ihn mitsamt seiner Sachen in die Tiefe hinab.
Er hörte ein Geräusch, irgendwo in der eisigen Kälte hinter sich im Wasser.
Er hustete.
Fuchtelte mit den Armen.
Er hatte früher davon geträumt, wie es war, zu ertrinken.
Panisch war er in die falsche Richtung geschwommen, bis er gesehen hatte, dass er auf den Meeresgrund zuschwamm und die Wasseroberfläche in immer weitere Ferne rückte.
Er hatte nie gewusst, wie viel von diesen Träumen das Geschenk seiner Mutter waren. Denn auch das hatte sie tun können. Helen Darcy hatte die Träume zu lenken vermocht.
Colin ruderte mit den Armen.
Ihm war kalt.
»Sie müssen das nicht tun«, sagte eine Stimme, die er kannte. »Es geht Ihnen gut.«
Colin öffnete die Augen.
»Mr. Darcy!«
Livia stand neben ihm und zitterte noch, obwohl ihr gar nicht mehr kalt war.
»Miss Lassandri!«
Die beiden Neuankömmlinge rieben sich die Augen und sahen, dass sie nicht mehr in Rio Bravo waren.
Sie waren weit gereist in der kurzen Zeit, so schnell konnte es also gehen, wenn man die richtige Abkürzung zu nehmen wusste.
»Willkommen«, sagte rauchig die sündhafte Stimme, die zweifelsohne Madame Redgrave gehörte. »Willkommen in Culzean Castle, dem Heim der Pandora.«
neuntes kapitel
in dem Colin Darcy einen Vorschlag macht, anschließend im Gefängnis landet, unverhofften Besuch bekommt und Mr. Moon seinen Auftritt hat
Papa hat mich einfach ins Meer geworfen«, erklärte Livia ihm, »und danach war die Angst verschwunden.« Livia ihm, »und danach war die Angst verschwunden.«
Madame Redgrave, die weder böse noch ungeduldig war, konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Da, hören Sie, Mr. Darcy, zu welchen Dingen die Menschen fähig sind, wenn man sie ihnen aufbürdet.«
Was genau sie damit sagen wollte, wusste Colin nicht, aber das war auch egal.
Livia und er waren in Culzean Castle angekommen.
Er war früher schon einmal hier gewesen, als das Anwesen noch der Öffentlichkeit zugänglich war, und damals hatte er, gemeinsam mit Danny und seinen Eltern, die Felsenburg mit dem riesigen Park besichtigt, wie Hunderte anderer Menschen es getan hatten. Es war ein altes Anwesen, erbaut irgendwann zwischen 1777 und 1792 von Robert Adam, Schottlands berühmtestem Architekten. Culzean Castle liegt südlich von
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