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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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klatschte in die Hände. »Dann los!«
    In Windeseile erwachten die Bienenstöcke an den Fenstern zum Leben. Ein lautes Tosen erfüllte den Salon von Culzean Castle, und Tausende von Bienen verließen ihre Waben weiten, um sich auf die Gäste zu stürzen, die stocksteif dastanden.
    Colin hoffte nur, dass ihnen die Bienen freundlich gesonnen waren.
    Die kleinen Leiber wirbelten um Livia herum, und das Letzte, was er von ihr sah, waren ihre Augen, die in einem Meer aus Bienen begraben wurden. Dann stürmte die Wolke aus wilden Leibern auf Colin zu.
    »Bis bald«, sagte Madame Redgrave, und Colin konnte gerade noch erkennen, dass sie zu der Blechdose ging, sie aufhob und ans Ohr hielt. Dann nahmen die Bienen ihm die Sicht auf alles, was zu Culzean Castle gehörte. Es wurde nachtschwarz um ihn herum. Die Dunkelheit roch nach süßem Honig, und das leichte Flirren Tausender winziger Flügel trug ihn fort.
    Als er die Augen wieder öffnete, da stand er in Stranraer, unten am Hafen.
    Livia war neben ihm.
    Nur vereinzelt sahen sie noch Bienen, die in alle Richtungen davonflogen.
    »Na, das war ja was«, sagte Livia.
    »Du sagst es.«
    Drüben an den Landungsstegen legte gerade eine der großen Fähren ab, die hinüber nach Irland fuhren. Einige Fischkutter, allesamt größer als jene kleinen Dinger, die man in Portpatrick antraf, kehrten in den Hafen zurück. Dazwischen flitzten ein paar Sportboote mit gelangweilten Touristen durch das aufgewühlte Wasser.
    Willkommen in der Wirklichkeit, dachte Colin nur.
    Auf einer Laterne, nicht weit von der Stelle, an der sie standen, hockte ein Vogel mit buntem Gefieder. Er neigte den Kopf, als er Colin und Livia sah.
    Diese Drecksvögel, dachte Colin.
    Dann hörte er das Lied.
    Tie a yellow ribbon round the ole oak tree.
    Und über dieser Melodie eine andere Textzeile.
    Something wicked this way comes.
    »Es wird alles gut werden«, sagte Colin laut und deutlich. »Wenn sie Danny nicht finden, dann wird Mr. Moon meine Mutter laufen lassen. Sie werden das Geschäft rückgängig machen, und alles wird gut sein.«
    Livia betrachtete den Vogel, der aussah wie jener Vogel, der das gelbe Band im Schnabel getragen hatte. Und er hatte Federn wie die Vögel, die im London-Leben Arthur Sedgwick bedrängt hatten.
    Es gibt keine Zufälle.
    Das war genau das, was Colin dachte.
    »Lass uns gehen«, schlug Livia vor. »Ich weiß, wo die Polizeistation ist.«
    Der Vogel erhob sich in die Lüfte und flog davon.
    Ein lcichter Nieselregen setzte ein und tauchte die kleine Hafenstadt in einen schleierhaften Zustand voller nebelhafter Andeutungen.
    Colin und Livia gingen langsam durch die Straßen, und es war fast so, wie es damals gewesen war. Das Wetter hatte sich nicht verändert, sie beide auch nicht, nie wirklich. Wenn dies alles vorüber war, dann würde er nicht mehr nach London zurückkehren. Nie war ihm das klarer gewesen als jetzt, als er Livia durch die engen Straßen von Stranraer folgte.
    Damals waren sie durch die Pubs des Ortes gestreunt und hatten immer nur geredet und geredet, so lange, bis sie das Gefühl gehabt hatte, einander zu kennen.
    Doch erst jetzt lernte er Livia wirklich kennen. Und das Geheimnis, das sie umgab, würde sie ihm später offenbaren, wenn alles vorbei wäre. Das hatte sie versprochen, und er glaubte ihr.
    »Da ist sie«, sagte Livia, nachdem sie eine halbe Stunde durch die Gegend gelaufen waren.
    Die Polizeistation von Stranraer war nicht groß, nur ein kleines Haus in der Nähe der gut erhaltenen Burgruine, eigentlich der einzigen wirklichen Touristenattraktion der Stadt. Zwei weiße Autos mit den typischen gelben Streifen an der Seite und dem Emblem der Ayrshire-Police standen vor dem Haus, daneben erkannte man unschwer den Vauxhall des Constable. Gleich neben der Polizeistation befand sich das Touristenbüro. Jemand war wohl der trefflichen Meinung gewesen, die beiden Institutionen passten gut zueinander.
    Colin warf Livia einen langen Blick zu. »Dann mal los«, sagte er und holte tief Luft, drückte die Klinke herunter und trat ein. Livia folgte ihm ins Haus.
    Es konnte losgehen.
    Constable Plummer war einigermaßen überrascht, die beiden zu sehen. »Ich habe Sie gesucht«, sagte er und wartete ab, welche Reaktion sie zeigen würden. »Drüben auf dem Galloway Graveyard. Sie waren unmittelbar vor mir und dann plötzlich unauffindbar.« Das Büro war in einem kleinen Raum untergebracht: zwei Schreibtische, die einander gegenüberstanden, ein Haufen Ablagefächer

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