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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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nannte sie seine Stressschmerzen. Zum ersten Mal waren sie im Alter von zehn Jahren aufgetreten. Helen Darcy hatte Ärzte zu Rate gezogen, und man hatte Colin alles Mögliche zum Schlucken oder Einreiben verabreicht, aber die eigentliche Ursache der Schmerzen, da war er sich heute sicher, war Helen Darcy gewesen.
    »Ich werde mich beeilen«, versprach er Rachel.
    Dann legte er auf.
    Er sah sein Apartment vor sich und hatte das Gefühl, dass bald alles zerfließen würde.
    Ja, sein ganzes bisheriges Leben wäre nur ein schönes Bild gewesen, ein wertvolles Gemälde, das jemand in den Regen legt und wartet, bis alle Farben verschwommen sind. Ein Kunstwerk wie jene, die in den Gängen von Ravenscraig hingen.
    Colin schlug sich die Hände vors Gesicht.
    Es passierte einfach zu viel auf einmal.
    Binnen vierundzwanzig Stunden.
    Alles auf einmal.
    Er musste an Arthur und Mary Sedgwick denken, an den Segeltörn im vergangenen Herbst.
    »Nur du und ich«, hatte Arthur gesagt.
    Vor Plymouth waren sie gesegelt, zwei Tage lang. Damals waren Shila und er seit Wochen getrennt gewesen, doch Arthur und Mary hatten es sich zur Aufgabe gesetzt, sie wieder zusammenzubringen.
    »Wo kommt die denn her?«, hatte Colin gefragt, als Shila am Kai aufgetaucht war.
    »Überraschung«, hatte Mary gerufen, als sie aus der Kajüte gesprungen kam.
    Wie gesagt, Arthur und Mary hatten ein gutes Herz und wollten ihm zu seinem Glück verhelfen.
    Rückblickend keine gute Idee.
    Sie verbrachten alle ein schönes Wochenende, dort unten an der Küste. Abends, im Hotel in Bristol, kamen Colin und Shila sich wieder so nahe, dass die Beziehung auflebte, um, wie sich gestern erwiesen hatte, nur ein einziges weiteres karges Jahr zu überdauern.
    Dennoch, Arthur und Mary, das wusste Colin, hatten es nur gut gemeint.
    Sie waren echte Freunde.
    Arthur und Mary waren überdies das perfekte Paar gewesen. Sie hatten sich abgöttisch geliebt und für Colin all das verkörpert, was seine eigenen Eltern nicht verkörpert hatten. Mary war ihrer Tochter eine wunderbare Mutter, und Seiina war ein glückliches Mädchen, und überhaupt stand Mary für Colin für all das, was Helen Darcy nicht gewesen Doch jetzt war Arthur tot.
    Einfach so.
    Er sei mit dem Wagen durch die engen Straßen von Southwark gerast, habe eine Reihe von parkenden Autos beschädigt, um dann am Ende von der Battersea Bridge Road in die Themse zu stürzen.
    Nein, das passte nicht zu Arthur.
    Er war ein umsichtiger Autofahrer gewesen.
    Dennoch passierten Unglücke einfach so, ohne Grund, wie damals, als Archibald Darcy von den Klippen stürzte. Niemand rechnet mit einem Unglück, und wenn es passiert, dann ist man fassungslos und gelähmt und macht sich die Gedanken, die Colin bestürmten.
    Am Ende blieb immer nur eine einzige Frage.
    Warum?
    Und Antworten gab es nur selten.
    Dafür aber weitere Fragen: Warum war Arthur nach der Arbeit nicht nach Hause gefahren? Warum hatte er Mary angeblich mitgeteilt, dass er noch eine Verabredung habe? Und überhaupt, was hatte er in Southwark gemacht? Arthur musste die Präsentation überwachen, die gerade in vollem Gange war; das war es, was ihn bewegt hatte. Die letzten Vorbereitungen waren gestern am späten Nachmittag getroffen worden. Und es sah ihm einlach nicht ähnlich, dass er den Abend vor einem Tag, der so wichtig war wie der heutige, nicht zu Hause verbrachte. Arthur brauchte die Ruhe vor den Konferenzen.
    Colin seufzte.
    Er trank ein Glas kaltes Wasser, angereichert mit Aspirin.
    Mary Sedgwick ging immer noch nicht ans Telefon. Er wählte ihre Nummer erneut.
    Nichts!
    Colins Gedanken kehrten zu dem anderen Fall zurück, der sich, welch ein Zufall, den gleichen Tag ausgesucht hatte wie Arthurs Unfall.
    Nein, er wusste wirklich nicht, wo ihm der Kopfstand.
    Zudem verspürte er nicht das geringste Interesse daran, in der London Business School aufzutauchen. Colin Darcy war ein Forscher, kein Berater. Er liebte die Zahlen, die Modelle, alles, was sicher und logisch und berechenbar war. Er gehörte einem Lehrstuhl an, der nur selten von der Beraterfirma Peter Randalls zu Rate gezogen wurde. Doch in diesem Fall sah die Sache anders aus.
    Arthur Sedgwick hatte Colin im vergangenen Herbst, kurz nach dem Segeltörn, gebeten, die von ihm entwickelten Modelle auf die Märkte für Mobiltelefone anzuwenden. Das Ganze hatte sich interessant angehört, und so war Colin ein Gast in Peter Randalls Team geworden.
    »Wow«, hatte Shila damals bewundernd geäußert, »das

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