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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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war das nun mal.
    Da war der Kreißsaal, in dem Musik spielte.
    »Die Carpenters waren es. Jambalaya, am Anläng, und später dann Da doo ron ron und The night has a thousand eyes.«
    Colin hatte immer versucht sich vorzustellen, was genau geschehen war.
    »Damals«.
    Er stellte es sich vor, wie es seine Mutter ihm immer erzählt hatte. Da war ein Bett, um das Ärzte standen. Die Farben waren die Farben alter Fotos, bunt und in Technicolor wie die Filme mit George Peppard, Cary Grant und Audrey Hepburn.
    »Es waren mehrere Ärzte anwesend, weil es aussah, als würde es kompliziert.«
    Dazu kam noch eine Hebamme, die richtig alt war und ebenso erfahren, und eine Krankenschwester, die ganz jung war und ebenso unerfahren. Ein tolles Team, hatte Colin schon als Kind gedacht und seinem Bruder einen Stups gegeben, nach dem beide ihr Lachen hatten unterdrücken müssen.
    »Wir wussten, dass es schnell gehen würde.«
    »Wie lange hat es gedauert?«
    »Dein Vater fragte die Ärzte, und die Ärzte sagten, es würde schnell vorbei sein.«
    Trotzdem dauerte es Stunden.
    Die Wehen hatten bereits in Ravenscraig eingesetzt. Im Krankenhaus wurden die Abstände mal kürzer, mal länger. Irgendwo, während die Zeit unendlich langsam verstrich, sangen die Carpenters One fine day.
    »Die Hebamme mochte die Carpenters.«
    Am frühen Abend war Helen Darcy eingeliefert worden.
    Die Nacht brach an, ging vorüber, die Sonne ging auf. Das war wichtig, alles andere nicht.
    »Wir wussten, dass es eine Sturzgeburt werden würde.«
    Das war die Stelle, an der Colin und sein Bruder jedes Mal die Augen rollten.
    »Es war nicht einfach für mich. Dein Vater wartete die ganze Zeit über auf dem Gang.«
    Die ganze Nacht über lief leise Musik im Radio, einmal sogar Tom Jones.
    »Das brachte mich wenigstens auf andere Gedanken.«
    Dann ging es los.
    Helen Darcy beschimpfte die Schwestern, den Arzt, wünschte ihren Mann zum Teufel, verfluchte die Schmerzen, biss ins Kopfkissen, jammerte, zeterte, stöhnte, schlug um sich.
    Die Hebamme redete mit ihr, aber sie hörte ihr nicht zu.
    »Sie haben Lachgas benutzt, um mich zu beruhigen.«
    Das war ein weiteres Detail der Geschichte, das Helen Darcy immer bemühte. Danny stupste Colin jedes Mal an und grinste, wenn ihre Mutter das Lachgas erwähnte. Es war ein Mythos, ähnlich wie alles andere auch.
    »So war es, damals, so und nicht anders!« Angeblich hatte man ihr Lachgas verabreicht, weswegen sie die letzten Phasen der Geburt kichernd und lachend verbracht hatte.
    Colin hatte sich bereits als Kind gefragt, ob man wirklich lachen musste, wenn man Lachgas verabreicht bekam. In den alten Filmen mit Buster Keaton und Harold Lloyd war dies meistens so. Doch hier ging es um die Wirklichkeit. Dies war Stranraer Ende der 60er und keine schwarz-weiße Komödie aus den 30er-Jahren mit Tingeltangelmusik.
    Am Ende jedenfalls wurden die Kontraktionen stärker und stärker. Die Hebamme machte sich bereit, die beiden Ärzte ebenso. Von irgendwoher hörte sie Yesterday once more. Alle standen sie vor dem Bett, und jeder tat, was er tun musste.
    Die junge Krankenschwester war die Einzige, die nicht auf Helen Darcy schaute. Sie stand hinter dem Bett und prüfte den Blutdruck und lauschte dem Puls der Patientin. Und während alle Anwesenden auf das Köpfchen mit den wenigen dunklen Haaren schauten, das sich zögerlich aus der Vagina herausschob, starrte die Krankenschwester auf die kahle Wand am anderen Ende des Raumes, jene Wand, die auch Helen Darcy mit weit aufgerissenen Augen betrachtete.
    »Du glaubst wirklich, dass es so passiert ist?«
    »Ich bin dabei gewesen«, pflegte Helen Darcy zu sagen.
    Damals, Die weißen Fliesen waren verschwunden. Dort, wo die Kabel des Ultraschallgerätes entlangliefen, war der geflieste Boden plötzlich mit feinem Wüstensand bedeckt gewesen. Schwarze Skorpione tummelten sich an der Wand, und hinter ihnen wuchsen hohe Palmen und tiefgrünes Dickicht, wo eigentlich die Wand und ein Tisch sein sollten. In der Ferne plätscherte Wasser, und bunte Papageien saßen auf den Ästen der Bäume, und in der Dunkelheit des Dschungels, der ebenso gut eine Oase sein konnte, wurde die Krankenschwester zweier geschlitzter Augen gewahr, die neugierig das Ende der langsamsten Sturzgeburt der Welt beobachteten.
    »Es war eine Dschinni.«
    Colin Darcy hatte diesen Teil der Geschichte noch nie gemocht. Es war schlichtweg unglaubwürdig. Jede Lüge, und wenn es auch eine noch so gute war, konnte in nur einem

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