Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi

Vom Netzwerk:

meditieren, nur besser, und dazu noch an der frischen Luft.« Er hatte ihnen die Flüsse und Bäche erklärt und die Lebewesen, die sich dort tummelten. Er wusste alle ihre Namen und war mit ihnen umgegangen, als stünden sie ihm näher als Helen, seine Frau.
    Er brach meist früh am Morgen auf und kehrte am Abend zurück. Und manchmal übernachtete er in einem der Dörfer oder dem Zelt, das er immer dabeihatte, hinten im Rover. Auf jeden Fall aber (und das war das Allerwichtigste) weit, weit fort von Ravenscraig.
    »Du siehst ihm ähnlich.« Wenn Helen Darcy das sagte, dann klang es wie eine Anschuldigung.
    Danny, das sagten alle, obwohl er es nicht hören wollte, kam eher nach seiner Mutter. Er hatte ihre Augen, die kühl und warm zugleich sein konnten.
    Das Taxi erreichte die Park Road zehn Minuten bevor seine erste Veranstaltung für die Studenten begann. Colin hatte sich überlegt, ob er die Vorlesung abhalten sollte, und sich entschieden, es zu tun, weil es ihn ablenken würde.
    Das war seine Strategie.
    Colin Darcy stieg aus, streckte sich, fasste sich schnell an den Hals, um die Krawatte zu kontrollieren, und stellte fest, dass er gar keine Krawatte trug. Was ihn kurz verwunderte. Normalerweise trug er immer eine Krawatte. Er hatte diesen Ort noch nie ohne Krawatte betreten.
    Bis heute.
    Kurz spielte er mit dem Gedanken, noch vor der Veranstaltung sein Büro aufzusuchen, um in den Schubladen nach einer Krawatte zu suchen. Er ließ es bleiben.
    Und er fühlte sich gut dabei.
    Er hielt die Vorlesung im ersten Stock des Sainsbury Buildings wie geplant um acht Uhr dreißig. Die Studenten konnten ihm folgen, immerhin. Er redete und redete und besprach eine Grafik nach der anderen, weil das etwas war, was ihn ablenkte.
    Zu Hause im Apartment in Hampstead Heath zu sitzen und Gedanken nachzuhängen wäre unnütz gewesen. Über ökonomische Modelle zu reden, Kurven zu analysieren, Schnittpunkte herzuleiten und die Studenten mit einigen Berechnungen zu konfrontieren schien ihm da angemessener zu sein.
    Ja, die Makroökonomie hielt ihn davon ab, über Ravenscraig und Arthurs schrecklichen Unfall nachzudenken. Entsprechendes hatte sie schon getan, als er noch in Cambridge gelebt hatte.
    Trotzdem musste er kurz an den bunten Vogel denken, der nicht wie ein einheimischer Vogel ausgesehen hatte. An das gelbe Band in seinem Schnabel und die bunten Federn, die so untypisch für diese Gegend waren, dass es kein einheimischer Vogel hatte sein können.
    Was soll's, dachte er und beantwortete die Fragen der Studenten mit müder, leicht entnervter Stimme, eigentlich so wie immer.
    Dann, nach der Veranstaltung, begab er sich hinauf in sein Büro, das im A-Flügel lag.
    Einer der jungen Assistenten des Lehrstuhls, Christoph Kneer, kam ihm müde, unrasiert und mit einem halb vollen Pappbecher Kaffee in der Hand auf dem Gang entgegen. »Sie sehen genauso aus, wie ich mich fühle, Doktor Darcy.«
    Darcy nickte ihm zu. »Deutscher Humor.« Es war eine Feststellung.
    »Englisches Frühstück«, verbesserte ihn Kneer. Dann berichtete er ihm von den Modellen, deren Programmierung er während der letzten Stunden verbessert hatte, und schimpfte auf die Mathematiker, die wieder mal den Baum im Wald nicht zu finden vermochten. »Die Simulation müsste morgen laufen, ohne Fehler.«
    »Wir brauchen die Ergebnisse für die SigmaCom-Sache. Bis gestern.«
    »Weiß ich doch.«
    Colin Darcy teilte dem jungen Mann mit, dass er die Projektreihe allein würde durchführen müssen. »Ich muss in einer Familienangelegenheit nach Schottland«, sagte er.
    »Seit wann haben Sic denn eine Familie?«
    Darcy zog ein Gesicht. »Werden Sie jetzt etwa unverschämt?«
    Kneer schüttelte den Kopf: »Deutscher Humor.«
    »Schnappen Sie sich Claudia Wolf, die hat noch den besten Draht zu den Mathematikern, und versuchen Sie die Simulation zum Laufen zu bringen. In zwei Tagen bin ich spätestens wieder da.«
    Colin Darcy war nicht schlecht darin, zu delegieren. Das hatte er von dem Igel gelernt.
    Kneer sprach noch kurz mit ihm über die Termine, die Darcy absagen musste, und ging dann seines Weges.
    Colin indes begrüßte Rachel, die mit Grabesmiene hinter ihrem Schreibtisch saß.
    »Das mit Arthur ist so schrecklich«, sagte sie.
    »Ja.« Colin hatte mit einem Mal das Gefühl, laut losheulen zu müssen, wenn er länger darüber zu reden gezwungen würde. Deshalb lenkte er ein und fragte: »Wie läuft die SigmaCom-Präsentation?«
    »Hugh Chapman wird Sie gleich