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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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einzigen Augenblick zu Fall gebracht werden, wenn sie Elemente enthielt, die einen am Wahrheitsgehalt der Geschichte zweifeln ließen.
    »Die Krankenschwester hat sie auch gesehen, damals.«
    Jedenfalls hatte die Krankenschwester sich vom Ort der Geburt entfernt und mit einem Stab, der eigentlich der Aufhängung von Infusionsflaschen diente, auf die Skorpione eingedroschen, was den Ärzten und den beiden Hebammen ein reichlich seltsames Verhalten zu sein schien.
    »Dann habe ich deinen ersten Schrei gehört.«
    Colin Darcy stellte sich das winzige Baby vor, das er einmal gewesen war. Eingewickelt in weiße, sterile Tücher, wurde er seiner Mutter in die Arme gelegt, während die Krankenschwester wie wild mit beiden Händen in der Luft herumfuchtelte und einen absonderlichen Tanz aufführte, den niemand so richtig verstand.
    »Sie hat die Papageien verscheucht.«
    »Kann es sein, dass sie einfach nur irre war?« Colin war schon immer ein überaus vernünftiger Mensch gewesen. Der innige Wunsch, sich mit ökonomischer Modellanalyse zu beschäftigen, kam nicht von ungefähr.
    »Sie hat sie alle gesehen!« »Alle?«
    »Die Bäume, die Tiere, alles. Auch die Dschinni, die dir die Stirn geküsst hat.«
    »Sie hat mir die Stirn geküsst?«
    »Du warst so ein süßes Baby, damals. Ja, Colin, die Dschinni hat dir die Stirn geküsst und dir gegeben, was dir niemand nehmen kann.«
    »Was hat sie mir denn gegeben?« Als Kind war Colin noch neugierig gewesen. Später hatte ihn die Geschichte nur noch angeödet.
    »Das, mein Junge, kann ich dir nicht sagen. Das wissen nur die Dschinni, und du.«
    Die Krankenschwester, die mit einem Kopfkissen versuchte, die Dschinni zu ersticken, um das Baby zu retten, wurde jedenfalls schnellstens aus dem Kreißsaal entfernt.
    »Du warst schon damals so ernst, Colin.«
    Er hasste es, wenn sie das sagte.
    »Du hast ausgesehen wie ein Junge, der einmal Koteletten tragen wird, wenn er groß ist.«
    Nach all den Jahren musste er, der jetzt wirklich Koteletten trug, immer noch an diese Geschichte denken, und ihm wurde bewusst, dass er seine Mutter noch immer hasste. Jetzt war sie verschwunden und Danny mit ihr.
    Miss Robinson, die ihn sehr gut kannte, fragte nun zögerlich, ob Colin zurückkehren würde nach Ravenscraig.
    »Das geht jetzt nicht«, antwortete er.
    »Es geht um deine Mutter.«
    »Das ist egal.«
    »Deine Mutter«, betonte sie.
    »Ich kann hier nicht fort.« Unmöglich!
    »Um deine Mutter und deinen Bruder.«
    »Fragen Sie Mr. Munro, der kann Ihnen beim Suchen helfen.«
    »Colin!«
    »Miss Robinson, bitte!«
    »Colin, du bist doch früher nicht so hartherzig gewesen.«
    »Jetzt schon.« Menschen ändern sich eben.
    »Das glaube ich nicht.«
    Er verdrehte die Augen, was Miss Robinson natürlich nicht sehen konnte.
    »Colin? Bist du noch da?«
    »Ja.«
    »Du musst nach Hause kommen.«
    »Ravenscraig ist nicht mehr mein Zuhause.«
    »Colin, du weißt, was ich meine.«
    »Nein.«
    So ging es weiter, und er fragte sich die ganze Zeit über, warum er nicht einfach auflegte. Es geschahen schlimme Dinge in der Welt, und dass Helen Darcy verschwunden war, gehörte eindeutig nicht dazu.
    Trotzdem, Miss Robinson ließ nicht locker, fragte ihn wieder und wieder, bat ihn darum, in die Rhinns zu kommen, bettelte und flehte sogar.
    Und Colin Darcy, der nass, müde und nicht minder durcheinander war, der an den seltsamen Vogel mit dem gelben Band denken musste und der am liebsten einfach nur seine Ruhe gehabt hätte und wusste, dass er gleich erneut seine Sekretärin anrufen würde und danach erneut versuchen würde, die Frau seines besten Freundes zu erreichen - dieser Colin Darcy, der schon lange nicht mehr der Junge aus Ravenscraig war, stand regungslos in seinem Apartment vor dem Fenster, schnupperte den Sommerregen, der wie die Gischt an den zackigen Felsen von Portpatrick roch, und war wütend, traurig und zutiefst verzweifelt, weil er die Antwort auf Miss Robinsons Frage bereits kannte und nicht im Geringsten wusste, wie er eine Reise nach Schottland mit all den anderen Dingen verbinden sollte, die sein Leben an diesem Abend aus der Bahn warfen.
    zweites kapitel
    in dem Mr. Darcy nach Antworten sucht, manche Dinge regelt und manche nicht und endlich wieder das Meer riecht (und ein Kunde in unsichere Gewässer vordringt)
    Er hatte unruhig geschlafen, was zu erwarten gewesen war. Ein bunter Vogel mit einem gelben Stoffband im Schnabel und eine lächelnde Dschinni hatten gemeinsam mit Helen Darcy,

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