Fabula
sich leer und hätte gern mit Danny gesprochen.
Auch das war etwas, was er gelernt hatte. Man konnte Probleme besser handhaben, wenn man zwischendurch an andere Probleme dachte.
Also dachte er an Danny.
My rille, my pony and me.
Er verdrängte das Lied.
Warum bist du nach Ravenscraig gekommen?
Das andere Rätsel, das auf einmal aufgetaucht war wie aus heiterem Himmel.
Auch hier suchte Colin vergeblich nach einer Antwort.
Dass seine Mutter unauffindbar war ... herrje, das konnte vorkommen. Dass aber sein Bruder nach Ravenscraig zurückgekehrt war, verwunderte ihn von allen Dingen am meisten. Das war der Punkt in dieser Geschichte, den er sich nicht erklären konnte.
Seine Mutter war verrückt. Nun ja, nicht direkt verrückt, aber doch sehr exzentrisch. Wer wusste schon, wo sie sich herumtrieb. Einmal, vor Jahren, war sie einfach so verschwunden, genau wie jetzt. Vier Tage später rief sie von einem Münzfernsprecher aus Kairo an. Ja, Kairo! Sie sei noch nie dort gewesen, das war die einzige Begründung, die sie ihrem Mann gab. Und das Versprechen, in einer Woche wieder daheim zu sein.
Ihr kommt schon ohne mich klar.
Helen Darcy, das wusste ihr Sohn, war seltsam.
Und Danny, auch das wusste Colin, hatte seine Mutter noch viel, viel weniger gemocht, als es den Anschein gehabt hatte. Ja, er hatte sogar richtiggehend Angst vor ihr gehabt, damals, als er noch ein kleines Kind und Colin schon ein junger Jugendlicher gewesen war. Er hatte einmal ein Lied komponiert, in dem es um Helen und ihn ging, metaphorisch, versteht sich, und das er nur mit jaulender E-Gitarre hatte spielen können. Und Danny war jemand, der die E-Gitarre nur selten angefasst hatte. Wie eine Mischung aus Bruce Springsteen und The Cure hatte es geklungen, laut und abgrundtief verzweifelt.
Wie lange lag das nun zurück?
Colin wusste nicht einmal das.
Der Taxifahrer war ein schweigsamer Taxifahrer, immerhin.
Colin Darcy betrachtete die Stadt, die langsam erwachte, und all die Menschen, die ihren Zielen entgegenhasteten, und fragte sich, wohin diese Reise ihn wohl führen würde.
Was war in Ravenscraig passiert?
Geradezu erschrocken stellte Colin fest, wie wenig er in den vergangenen Jahren an seine Kindheit gedacht hatte und an wie wenig er sich jetzt erinnern konnte.
War es möglich, dass man ganze Jahre aus seinem Gedächtnis löschte? Dass die Verdrängung, von der die Psychologen so gern sprachen, wirklich funktionierte? Er wusste ja nicht einmal, was genau er verdrängt hatte. Was hatte er denn erlebt, was so verdrängenswert gewesen wäre?
Er wusste es nicht. Das war alles, was er wusste.
Er hatte keine Ahnung.
Nicht für einen Penny Ahnung hatte er, so sah es aus.
Dafür erinnerte er sich immer öfter an den Geruch der See und das sanfte Tosen der Brandung an den Klippen nahe des Galloway Graveyard mit seinen schiefen Grabsteinen und den mächtigen Eichen.
Der warme Sommerregen hatte es ihm ins Gedächtnis zurückgerufen, gestern Abend, das alles und noch mehr.
Er betrachtete sein Spiegelbild im Fenster des Taxis und musste an Cary Grant denken. Helen Darcy hatte immer behauptet, dass ihr Mann so ausgesehen habe wie Cary Grant, und damit hatte sie nicht unbedingt unrecht gehabt, keineswegs.
»Du siehst deinem Vater ähnlich«, hatte Colin immer schon zu hören bekommen.
Er tastete nach dem Grübchen am Kinn, das auch sein Vater gehabt hatte: Alexander Archibald Darcy, der starb, als er die Vögel am St. Abb's Head beobachten wollte.
Zufall, Schicksal oder einfach nur Pech - am Ende war es passiert, und keiner wusste so recht, warum. Wie die Sache mit Arthur. Wie alles im Leben.
Sing, little birdy, sing.
Das war auch eines der Lieder, die sein Vater gemocht hatte.
Und Mutter hat es gehasst!
Das, wie so vieles andere auch.
Helen Darcy und ihr Mann hatten niemals richtig zueinander gefunden. Es war eine seltsam förmliche Beziehung gewesen. Archibald Darcy hatte immer öfter die Flucht ergriffen, wenn Helen spitzzüngig ihr Gift verspritzt hatte. Er war zur New England Bay hinter Ardwell gefahren, mit dem alten grünen Rover, in dem es nach Holz und Ledersitzen und kaltem Whisky gerochen hatte.
Früher war er allein dorthin gegangen, um seine geliebten Vögel zu beobachten. Dorthin und zur Isle of Withorn, nach St. Abb's Head, zum Loch Lomond, wo er tagelang in einem Zelt hatte leben können.
»Das ist es, was ein Mann tun muss«, pflegte er zu sagen. »Vögel beobachten. Und zwar allein! Es ist, als würde man
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