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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Nebenwirkungen auftreten. Elektrosmog ist aber überall.« Er fuhr sich mit der Hand durchs dichte Haar, um das Colin ihn beneidete. Putzte er sich die Zahne und spuckte aus, dann konnte er eine sich langsam ausweitende kahle Stelle im Spiegel erkennen, die zwar dort lag, wo nicht jeder sie unbedingt sah, aber trotzdem. Colin Darcy wusste, dass sie da war, und an die kahle Stelle auf seinem Kopf zu denken trug ganz und gar nicht dazu bei, seine Laune zu verbessern.
    »Was heißt das?«
    »Elektrosmog ist überall«, wiederholte Chapman.
    Colin dachte an Schottland und konnte auf einmal fast schon die klare Luft riechen.
    »Abstrahlung gibt es bei jedem Gerät, das an der Steckdose hängt.« Es folgte eine Abhandlung über elektrische Haushaltsgeräte, automatische Türöffner, Kühlschränke, Radios, Fernseher. »Die Menschen sind daran gewöhnt.«
    Colin machte nur: »Hm.«
    »Das ist ...«
    Colin hob die Hand. »Bringen Sie es doch einfach auf den Punkt!«
    Chapman starrte ihn an.
    Colin deutete zur Uhr. »Termine«, sagte er genervt.
    »SigmaCom hat eine reine Weste. Die Produkttests wurden alle sehr gewissenhaft durchgeführt.«
    »Fein.« Colin Darcys Gedanken drifteten ab. Das, was Chapman ihm da berichtete, wurde zu einem dumpfen Klangteppich, der sich anhörte wie langsame Musik für einen Taucher unter Wasser. Und Colin Darcy fragte sich, wenn auch nur für einen ganz, ganz kurzen Augenblick, was er überhaupt in diesem Zimmer machte. Warum hörte er diesem Mann zu, der sich selbst so gefiel, wenn er redete, dass er das doch besser vor einem Spiegel gemacht hätte? Warum saß er zurückgelehnt in seinem Sessel und dachte an das Meer und den kleinen Hafen von Portpatrick?
    Und warum hatte er noch immer die Füße mit den Schuhen daran auf dem Schreibtisch liegen?
    Colin erstarrte.
    Saß er schon lange so hier?
    Hugh Chapman jedenfalls schien es nicht weiter zu stören, dass er so dasaß.
    Gut so!
    Auch dieser Gedanke verwunderte ihn. Colin Darcy war nicht der Typ, der die Füße auf den Tisch legte. Niemand, der in der London Business School arbeitete, war dieser Typ. Solche Typen wurden nicht eingestellt, weil sie nicht zum Bild der altehrwürdigen Schule mit der langen Tradition passten. Außerdem machte es keinen guten Eindruck auf Mandanten.
    Colin wusste das, natürlich.
    Trotzdem machte er keine Anstalten, die Füße vom Tisch zu nehmen. Es war bequem. Und eingedenk der Probleme, mit denen er gerade zu tun hatte, konnte ein wenig Entspannung nicht verkehrt sein.
    »War das alles?«, fragte Colin, nachdem Chapman ihm weitere zehn Minuten die Einzelheiten der Preisstrategiesimulation dargelegt und mit sorgenvollem Blick betont hatte, dass SigmaCom in ernsthafte (und er unterstrich das Wort ernsthafte) Schwierigkeiten kommen würde, geriete die Sache erst in die Medien. Er faselte etwas von Elastizitäten und Absturz im Portfolio, und das war es dann auch schon.
    »Sie befahren unruhige Gewässer«, sagte Colin.
    »Bitte?«
    »Vergessen Sie's.«
    Chapman verließ das Büro.
    Und Colin dachte nur: Was für ein Tag!
    Als Hugh Chapman endlich draußen war, griff Colin zum Telefon und versuchte Mary Sedgwick zu erreichen. Noch immer nahm niemand das Gespräch entgegen.
    Colin schloss die Augen und versuchte zu weinen, aber er konnte es nicht.
    Es tat weh, es nicht zu können. Wenn man genau hinhörte, dann tat es weh.
    Helen Darcy, dachte er, hat niemals geweint. Vielleicht habe ich mir das von ihr abgeschaut. Und auch das war kein Gedanke, den er mochte, ganz und gar nicht.
    Der nächste Besuchcr war Inspektor McGuffin von der Metropolitan Police. Er trug einen grauen Anzug, dazu ein hellblaues Hemd, aber ohne Krawatte. Hageres Gesicht, Oberlippenbart, die Haare kurze Stoppeln, nicht der typische Polizist.
    »Wie gut kannten Sie Mr. Sedgwick?«, fragte er, nachdem die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht worden waren. Es entging Colin nicht, dass er die Vergangenheitsform verwendete.
    »Wir sind Kollegen und Freunde.« Colin sagte nicht »gewesen«. Dann erkundigte er sich nach Mary.
    »Ist mit ihrer Tochter bei ihren Eltern in Nottingham.«
    Colin verkniff sich zu fragen, wie es ihr ging.
    »Was ist passiert?«
    McGuffin griff nach einem Taschentuch und schnäuzte sich lautstark. »Tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Allergie.« Dann kam er zur Sache. »Mr. Sedgwick hat dieses Gebäude, das sagte mir Ihre Sekretärin, gegen neunzehn Uhr verlassen und ist dann, das vermuten wir, auf direktem Weg

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