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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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keinen Zweifel daran ließen, wie sehr sie dieses eine Lied verachteten, Tie a yellow ribbon round the ole oak tree. In Colins Traum flatterten darüber hinaus allerlei bunte Vögel zu der Melodie zwischen den Gräbern herum und schnappten sich flink und gierig die gelben Bänder, die sie in ihren Schnäbeln von dannen trugen, sodass der Himmel gelbgrau gestreift aussah, irgendwie.
    Colin erwachte, als der Morgen bereits graute. Das Bild der Vögel war noch immer greifbar, ebenso das Lied.
    Livia saß neben ihm.
    »Du schaust mir beim Schlafen zu?«
    Sie strich ihm durch die Locken. »Ich schaue dir beim Träumen zu.«
    Colin schloss die Augen erneut und fragte sich, was der kommende Tag ihm bringen würde. Den ganzen Abend hatte er gegrübelt und sich den Kopf darüber zerbrochen, was er nun tun sollte. Man verdächtigte ihn in London, seinen Freund umgebracht zu haben, man verlangte von ihm, seinen Bruder zu finden.
    Das ist alles zu viel.
    Einfach viel zu viel.
    Livia hatte noch Pistazien und Rotwein in der Kochecke, die sie wie eine richtige Küche behandelte, fürs Abendessen gefunden.
    »Ich bin keine besonders gute Köchin«, hatte sie gesagt, »aber ich kann improvisieren.«
    Zu den Pistazien und dem Rotwein hatte sie Schafskäse serviert und Weißbrot. Dazu hatte sie eine alte Platte von Emmylou Harris aufgelegt und danach, einmal auf den Geschmack gekommen, die einzigartige Desire von Bob Dylan.
    Colin hatte es genossen und dann irgendwann versucht, nicht mehr an den Tag zu denken. Er hatte das getan, worin er gut war: Er hatte die Dinge, die ihn bedrückten, für den Augenblick verdrängt. Und, ja, es funktionierte noch immer.
    Sogar jetzt.
    Und hier.
    Gerade hier.
    Dann hatte Livia für ihn gesungen, zuerst One more cup of coffee, One of these days und Wayfaring stranger. Am Ende noch ein ganz leises Sa ve the last dance forme.
    Jetzt, am Morgen, betrachtete Colin das walzenförmige Mal auf ihrem Arm. »Tut es weh?«
    »Nein, gar nicht.«
    »Wir werden Danny finden«, versprach er ihr.
    Und Livia sagte: »Ich weiß.«
    Ein ähnliches Gespräch hatten sie schon am Abend geführt, vor dem Rotwein und vor den Pistazien. Der Raum war bis zur hohen Decke mit Fragen vollgestopft gewesen.
    Und Antworten hatten nicht einmal die Lieder gebracht. Warum war Danny nach Schottland gekommen? Warum hatte er diese seltsame Frau in New York aufgesucht? Warum, warum, warum? Das alles passte doch eigentlich gar nicht zusammen.
    »Glaubst du, es ist wirklich alles so passiert?«, hatte Livia ihn im Rover gefragt.
    »Ja.« Die Bienenfrau, davon war er überzeugt, hatte wirklich all diese Dinge zu ihm gesagt.
    Julie McAllister, die den ganzen Abend über unten an der Rezeption gestanden hatte, hatte sich allerdings weder an die Frau in Weiß noch an die mysteriöse Sache mit den tosenden Bienenschwärmen erinnern können. Als Colin und Livia sie darauf angesprochen hatten, da hatte sie nur skeptisch belustigte Blicke für die beiden übrig gehabt, nichts weiter.
    Also hatten sie geschwiegen.
    Colin hatte die Rechnung bezahlt, die Tasche mit seinen Sachen hinten in den Rover geworfen, und keine halbe Stunde später waren sie wieder in Black Head gewesen.
    »Daheim!«, sagte Colin, als er den Raum betrat, und erst als er es gesagt hatte, wurde ihm bewusst, dass er es gesagt hatte und, noch viel später, was es bedeutete.
    Es war nur ein einziges kleines Wort, aber es bedeutete alles!
    Livia hatte es gehört, als er es gesagt hatte, und sie hatte auch gehört, wie er es gesagt hatte.
    »Du hast es nicht wie jemand gesagt, der sich in ein Mädchen verliebt hat und es einfach nur so dahinsagt, weil er die Nacht mit dem Mädchen verbracht hat und findet, dass es sich gut anhört, es zu sagen. Du hast es gesagt wie jemand, der gerade nach Hause kommt und der weiß, dass es so ist.« Und eben das war der Moment gewesen, in dem sie die Platte aufgelegt und zu singen begonnen hatte: Making believe.
    »Ich singe gern, aber nur, wenn es mir gut geht«, hatte sie erklärt.
    »Ich singe nie.«
    »Du quäkst ja auch.«
    »Tu ich das wirklich?«
    »Es klingt sexy.«
    »Ach ja?!«
    »Ja.«
    Sie hatten gegessen und nach einer Weile nicht mehr über Danny und Madame Redgrave und all das gesprochen. Livia hatte ihm geschildert, wie sie damals auf der Beerdigung von Archibald Darcy gewesen war. Sic erzählte so viele Dinge, dass Colin sie gar nicht alle behalten konnte. Aber er war froh, ihre Stimme zu hören, und es war eigentlich egal, was sie

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