Fabula
dem Galloway Graveyard hatten sich ihre Wege wieder getrennt. Colin, der nicht wusste, warum Livia aus Stranraer fortgegangen war, hatte sich damit abgefunden, sie nie wieder zu sehen. Doch all das hatte nichts mit Danny zu tun, nicht wirklich.
»Danny hatte Probleme in der Schule, was nichts Neues war.« So fing es an.
Danny wollte oder konnte nicht mit den Gedanken beim Unterricht bleiben, andauernd tat er etwas, was nichts, aber auch gar nichts, mit der Schule zu tun hatte. Er kritzelte Noten und Textzeilen in seine Hefte, selbst damals schon. Er notierte sich die Riffs für seine Gitarre, wenn er die Songs, die er aus dem Radio auf Kassette aufnahm, gut genug kannte. Er fertigte Bleistiftzeichnungen an, die mehr über den Zustand seiner Seele aussagten, als es alle Gespräche mit ihm je getan hatten. »Er war ein stiller Junge. So ruhig.«
»Ja, so habe ich ihn kennengelernt.«
»Er hat sich nicht verändert«, sagte Colin und wunderte sich, an wie viele Kleinigkeiten er sich auf einmal wieder erinnern konnte. Die Farben der Brotdosen, die Danny zur Schule mitgenommen hatte, waren auf einmal wieder da, als seien sie nie fort gewesen. Kleine Aulkleber hatte er auf die Dosen geklebt: Batman, den Roadrunner, Bruce Springsteen, Indiana Jones, Donald Duck, Luke Skywalker, Jenny Agutter und Michael York, Abba und Tyrone Power als Zorro, Flipper. Überall fanden sich diese Aufkleber, auch daheim in seinem Zimmer, auf den Türen der Schränke und vorn auf den Schubladen. »Danny war ein Träumer, das war er schon immer gewesen.« Er seufzte. »Seine Lehrer sahen das alles ein wenig anders.«
Eines Tages, an jenem besagten Montag im Herbst, um genau zu sein, kam Helen Darcy nach Hause, nachdem sie zufällig einen der Lehrer seines Bruders beim Einkaufen in Stranraer getroffen hatte. Nach einer höflichen Begrüßung hatte Mr. Tyrell, Dannys Klassenlehrer, seinen Befürchtungen, die Versetzung in die nächste Klassenstufe betreffend, ausreichend Luft gemacht. So eröffnete sich Helen Darcy in den langen Gängen des Tesco-Supermarktes ein völlig neues und leider weitaus weniger gutes Notenbild ihres Sohnes, und nichts von dem, was Mr. Tyrell ihr an diesem Nachmittag sagte, gefiel ihr.
»Als sie nach Hause kam, war sie wütend.« Man erkannte es daran, wie sie mit dem Mercedes auf dem Kies bremste. Er knirschte so laut, dass sogar die Steine die Köpfe einzogen.
»Und Danny?«
»Danny hatte es geahnt. Er war seit Stunden nicht aus seinem Zimmer rausgekommen, als wollte er die letzten Momente der Ruhe genießen.« Er hatte immer schon größere Furcht vor ihr gehabt. Und alles in allem war es sowieso nur eine Frage der Zeit gewesen, bis dieser Schwindel mit den gefälschten Klassenarbeiten und Unterschriften auffliegen würde.
Und nun war es passiert.
Helen Darcy wusste Bescheid.
»Was hat sie getan?«
»Anfangs hat sie geschwiegen, das tat sie immer«, sagte Colin. »Das war das Schlimmste, weil man nie genau wusste, was los war und wie und ob sie einen bestrafen würde.«
Sie parkte den Wagen jedenfalls mit einem ohrenbetäubenden Lärm, Reifenquietschen und Kieskreischen, und sie knallte jede Tür, durch die sie ging, lautstark hinter sich zu, stürmte schnell wie ein wütendes Wiesel ins Arbeitszimmer ihres Mannes, noch bevor sie Danny überhaupt einen Besuch abstattete, und fünf Minuten später tauchte dann Archibald Darcy in Dannys Zimmer auf und bat ihn, nach unten in den Salon zu kommen. »Deine Mutter und ich müssen mit dir reden.« Das war alles. Das war immeralles!
»Er war ihr Sprachrohr, daran hatte sich in all den Jahren nichts geändert.«
Livia lauschte seiner Erzählung. Und Colin spürte, wie ihn diese Vergangenheit zu packen bekam.
»Ich hörte den Lärm, den sie machte, als sie durchs Haus lief.«
Colin wusste sofort, dass es etwas mit Danny zu tun hatte. Er selbst hatte zu diesem Zeitpunkt kein Eisen im Feuer gehabt, nichts ausgefressen, war nicht ungehorsam gewesen, und was auch immer Helen Darcys Zorn erregen konnte, er hatte es nicht getan. Er lebte ruhig und zurückgezogen in den Mauern von Ravenscraig und sehnte den Tag herbei, an dem er das Anwesen endlich verlassen konnte. Zurückgezogen - das Wort traf sein Verhalten ziemlich gut, er lebte einfach nur zurückgezogen. Er erschien zu den Mahlzeiten, die die Familie gemeinsam einzunehmen pflegte, wenn er in Ravenscraig war, und die Gespräche, die er dabei mit seinen Eltern führte, waren zu höflicher Konversation geworden und
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