Fabula
sollte sie dort bleiben.«
Womit sie wieder bei der seltsamen Geschichte angelangt waren. Nur einen Moment dachte er daran, mit Constable Plummer über diese Sache zu sprechen. Der könnte nach Culzean Castle fahren und Madame Redgrave zur Rede stellen. Aber würde das wirklich etwas nützen? Würde die Frau in Weiß dem neugierigen Constable eine Auskunft geben? Und überhaupt, wie glaubwürdig klänge das, was Colin ihm sagen würde? Nein, er musste diese Sache selbst in die Hand nehmen, zu viel hing davon ab. Er konnte es nicht riskieren, dass Livia etwas zustieß. Darüber hinaus konnte Danny vielleicht insgesamt Licht in die Angelegenheit bringen.
Und Constable Plummer? Der glaubte ihm vermutlich sowieso nichts mehr.
Also?
Er zögerte noch.
Jedenfalls hatte Livia in einer Sache recht gehabt. Wenn Helen Darcy im Mond war, dann wäre es vielleicht besser, sie dort zu lassen.
»Trotzdem muss ich die Sache regeln«, sagte er, und dieser eine Satz umfasste sein ganzes Dilemma. »Also?« Sie sah ihn fordernd an. »Also was?«
»Wann fahren wir zum Galloway Graveyard?« Colin Darcy seufzte. Dann sagte er: »Warum warten?«
Es war keine Frage, dass genau dies die Dinge ins Rollen bringen würde, so oder so.
»Warum glaubst du«, fragte Livia, als sie den Weg durch die grünen Hügel nahmen, »dass Danny dorthin gegangen »Ich glaube es nicht wirklich. Es ist nur eine Vermutung, nicht mehr.« Tatsächlich war sich Colin der Tatsache bewusst, dass er bisher noch nie allein in Rio Bravo gewesen war, sondern immer nur gemeinsam mit Danny. »Ich dachte immer, dass die Erinnerungen, die man verloren hat, Stück für Stück zu einem zurückkehren und nur langsam Gestalt annehmen.« Er hatte geglaubt, dass sie, wie in Filmen, erst in kurzen und dann in immer länger werdenden Einstellungen auftauchten, bis man sich schließlich die gesamte Szene am Stück ansehen konnte.
Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus.
»Ich kann mich an den Ort erinnern, ich weiß noch genau, wie es in Rio Bravo aussah, das ist nicht das Problem.«
»Was ist dann das Problem?«
»Ich habe keine Ahnung, wie ich dorthin gelange.«
Livia sagte nichts.
Schweigend ging sie neben Colin her. Das hohe Gras auf den Hügeln beugte sich dem Wind, der sanft die Spitzen der Grashalme berührte.
»Vielleicht hilft es einfach schon«, dachte Colin nach, »wenn ich mich an einem Ort aulhalte, an dem auch Danny gewesen ist.« Er roch das Meer, wie damals.
Drüben, hinter den flachen Hügeln mit den Wiesen und den großen Steinbrocken darin, würde noch immer der Galloway Graveyard sein.
»Wie kommst du darauf, dass Danny dorthin gegangen ist?«
»Es ist nur ein Gefühl, nicht mehr. Das Grab unseres Vaters ist dort.«
»Hm.«
»Und wenn Danny wirklich auf dem Friedhof gewesen ist, dann hat er dort vielleicht sogar ein Zeichen hinterlassen, irgendeinen Hinweis darauf, was er vorhatte, was weiß denn ich?! Es tut gut, sich vorzustellen, dass er vielleicht an mich gedacht und etwas getan hat, was mich zu ihm führt. Es würde bedeuten, dass er mir noch immer vertraut.« Er rieb sich die müden Augen, und dies war wieder einer der Momente, wo er kaum glauben konnte, in welche Geschichte er da hineingeraten war. »Vielleicht geht es dort besser als woanders, vielleicht auch nicht.« Er sah sie ernst an. »Ich habe das seit fast zwanzig Jahren nicht mehr gemacht.«
»Wann bist du das letzte Mal dort gewesen?«
»Ich war fast neunzehn Jahre alt, Danny elf. Es war im Herbst, an einem Montag. Es war der Tag, an dem das, was bis dahin vielleicht noch zwischen meiner Mutter und mir war, endgültig gestorben ist.« Er musste lachen, was seltsam war. »Das klingt so theatralisch, findest du nicht?! Nun ja, es ist eben so passiert. Außerdem sind an diesem Tag die Fische meines Vaters gestorben, alle zusammen im gleichen Augenblick, doch am Ende, das weiß ich jetzt, gehörten alle diese seltsamen Dinge zusammen und waren untrennbar miteinander verbunden.« Selbst dies war eine Erinnerung, die jetzt, da er daran dachte, mit einem Mal wieder so vollständig da war, als habe er nur mit dem Finger schnippen müssen, um sie abzurufen.
»Was ist damals passiert?«
Er blieb stehen.
Atmete tief durch und schmeckte das Salz in der Luft und roch das Gras im Wind.
Die ganze Geschichte also.
»Es war, wie gesagt, ein Montag.«
Vier lange Jahre vor diesem Montag im Herbst waren sich Livia und Colin begegnet, und keine fünf Wochen nach diesem allerersten Treffen auf
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