Fado Alexandrino
sah.
– Und die Unverschämtheit? empörte sich ein schwerfälliger Schwager mit Siegelring, dem die Personalabteilung unterstand, haben Sie schon einmal ihre Unverschämtheit bemerkt? Sie kommen einfach in mein Büro gestürmt, ohne um Erlaubnis zu bitten, rauchen, reden mich nicht in der dritten Person, sondern mit Sie an, flegeln sich auf die Stühle, es fehlt nur noch, daß sie sich den Schlamm von den Schuhen an den Vorhängen abputzen. Und die Arbeiterkommission ist frech, protestiert gegen alles, fordert ständig irgendwelche Vorrechte, Freistunden, Räume für ihre Versammlungen, die Geschäftsführung der Kantine für einen von ihnen, weil die Teigtaschen nichts taugen, weil die Suppe nichts taugt, weil die Sahnecreme Scheiße ist, einmal ganz abgesehen von Medikamenten gratis, Laboruntersuchungen gratis, Röntgenaufnahmen gratis, aerodynamische Toiletten, Air-condition,
Hinternwäsche mit Rosenwasser, Luxusbetten im Dona-Maria-Stil für die Siesta.
– Es fehlt nur noch, daß sie mir breitbeinig auf den Kopf scheißen, beklagte sich der Leutnant beim Abendessen, während der Schatten der Papierkugellampe leicht an der Wand schaukelte und die Bäume der Rua da Mãe-d’Água sich bis zum letzten Zweig mit Chinatinte auf die Papierfassaden der Häuser druckten. Fehlt nur noch, daß sie ihr Arschloch auf die noch verbliebenen Büsten deines Großvaters setzen.
Auf die allgemeine anfängliche Euphorie folgte eine Zeit stürmischen Durcheinanders, voller heftiger Diskussionen, Streit, Beschimpfungen, eine Zeit von Gutmenschen mit den Logos der verschiedensten Parteien am Rockaufschlag, die sich gegenseitig, rot angelaufen, fuchsteufelswild Schläge und Beleidigungen androhten, wütende Gaumen freilegten wie die Wachhunde der Landgüter. Die Arbeit häufte sich, aber niemand rührte sie an, Aktenmappen und Dokumente häuften sich, verstaubten überall, Paris, London, New York, Zürich, Amsterdam beantworteten unsere Geschäftsangebote freundlich ausweichend und schlugen Vorauszahlungen vor, Unternehmen, die Darlehen von uns erbaten, machten, ohne zu zahlen, Konkurs, die anämischen Satellitenfirmen brauchten ständig Kapitalinjektionen, Inês’ Onkel rang die dicken Hände im Büro, zog bang den Ehering ab und setzte ihn wieder auf, wurde ein Jahrhundert pro Tag älter, deine Brüder und Cousins heilten in den Nachtclubs die Angst, klebrig und streitlustig, an Gingläser geklammert wie Seeleute an nicht zu reparierende Steuerruder.
– Setzt euch sofort ins Auto, keuchte die Schwiegermutter aufgebracht, bevor das Militär euch zu Hause abholt.
Ich ging äußerst selten aus, Herr Hauptmann, ich begleitete sie nie in Diskotheken oder Bars, doch ich konnte mir leicht ihre unruhestiftende Arroganz vorstellen, ihre doppelreihigen Blazer, den Schweiß an den Koteletten, die dummen Äuglein, die zwinkernd ein Ziel inmitten der stillstehenden oder hüpfenden Körper,
der bunten, blinkenden Lichter und des Schlingerns der Musik suchten, es fiel mir leicht, mir die Ohrfeigen, die Fußtritte, die Fausthiebe vorzustellen, die kleinen verblüfften Schreie der Freundinnen, ein Bord Flaschen, das unter Getöse zusammenstürzt und auf der runden Marmortanzfläche in Millionen von Scherben zersplitterte, Metalleuchten, die auf den Boden rollen, ein Typ, der, die Hände ans Gesicht geklammert, schwankt, die Gorillas des Ladens, die sich durch die Gäste drängeln, die Musik verstummt, alle Lichter brennen, zeigen brutal die empörten Gesichter, die entweder voller Panik sind oder die Lippen gegen Taschentücher pressen, die Ankunft der Polizei, die Splitter und Glasstücke mit den Sohlen zermalmt, der Geschäftsführer sehr ruhig, sehr höflich, ganz Herr seiner selbst, wie er diplomatisch mit der brennenden Zigarette im Mundstück spiralförmig gestikuliert, und am Ende ziehen dein Bruder Pedro oder dein Bruder Nuno oder dein Bruder Tó ein Heftchen aus der Tasche, unterzeichnen am Tresen einen Scheck zur Begleichung der Schäden, gehen schlingernd, zerzaust und triumphierend, auf Mädchen in hautengen Jeans und echten Pelzmänteln gestützt, hinaus, stolpern in der ersten Morgenhelligkeit von Mülleimer zu Mülleimer wie besiegte Boxer. Das war es nämlich, was mich am meisten beeindruckte, Herr Hauptmann: nicht die Angst, nicht die Dekadenz, nicht die animalische Verzweiflung, sondern die Traurigkeit ihrer Niederlage, der jeder Stolz fehlte, eine Art Resignation wie die von Tieren, wie sie im Badezimmer sabberten und den
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