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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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verwandelte. Der Oberstleutnant erinnerte sich vage an potthäßliche, ungekämmte Frauen in indischen Tuniken und Sandalen, die mit Besitzerallüren an den Künstlern hingen, an Maler, die sich gegenseitig heftig mit Schweine- und Schellfischfilets bekotzten, an grauhaarige Romanciers in Begleitung von dummen, ekstatischen, in gymnasiale Meditationen versunkenen jungen Mädchen in Jeans, an Fotografen mit schmutzigen Fingernägeln, die mit von Säuren vergilbten Fingergliedern die inspirierten Haarsträhnen zurückstrichen. Er erinnerte sich an die Stirn, die ihm mühsam die gasige Hirnmasse zusammenhielt, daran, daß ihm aus dem Tontopf seines Herzens, durch den Bauch und die Glieder ein Busch aus im Fleisch steckenden Drahtarterien wuchs, deren Harfengeräusch ihm weh tat, daß seine Füße unbedingt in der von Gerüchen, Rülpsern, wie Luftschlangen sich entfaltendem Gelächter, Schnarchen und Seufzern gesättigten Atmosphäre frei herumfliegen wollten, er erinnerte sich daran, daß er aus unerfindlichen Gründen einen blonden Saxophonspieler schlagen wollte und weinend die Knie eines im Koma befindlichen Redaktionschefs umarmt hatte, er erinnerte sich an die Straße, die sich elastisch, glitschig, regennaß unter den Sohlen auf- und einrollte, an das sarkastische Ballett der Laternen, an die Fassaden, die ständig auf seine Schultern stürzten, und dann an
das Taxi (Wäre es nicht besser, Ihren Vater ins Krankenhaus zu bringen, junges Fräulein?) und an das Motorengeräusch, das ihn am Damm kratzte, an die Pensão O Meu Lar neben der Casa da Moeda, deren blaue Laterne mikroskopisch klein an den Antipoden flimmerte, daran, daß er sich auf den Bürgersteig gehockt und die menschenleeren Fenster Arschlöcher genannt hatte, daran, daß du mir die Treppen hinaufgeholfen, das Zimmer bezahlt, mich mit aller Kraft auf das Bett geschubst hast, ich von Übelkeit erfaßt, schwindlig, kraft- und lustlos, wie du das Licht ausgemacht, die Stiefel weggeschleudert hast, und ich habe gesehen, wie du dich im aufkommenden, nebligen Morgen Stück für Stück mit Gesten ausgezogen hast, die sich fließend aus den Augen verflüchtigten wie das zufällige Lächeln eines Babys.
    – Ihre Mutter einfach so im Laden? pfiff der Soldat. Das war aber ’n Hammer, Herr Oberstleutnant.
    – Guten Tag, sagte der Oberstleutnant mit blasser Stimme (Wenn ich jetzt stürbe, würde ich davonkommen), während er sich der Boutiquenverkäuferin mit langsamer Beklommenheit näherte wie ein Verdammter. Haben Sie zufällig Kindermützen?
    Er wachte mittags allein, quer auf der Matratze liegend auf, von einem Traum aufgeschreckt, in dem seine Großmutter ihn vom Rollstuhl her ausschalt, ihn mit dem silbernen (Silbernen?) Griff des Spazierstockes bedrohte. Draußen gingen monoton lange Regenschnüre nieder, eitrige Furunkel rannen an den Scheiben herab, Schimmelpilze lösten und blähten die Medaillontapete an der Wand, eine an der Fußleiste entlangtrabende Küchenschabe verschwand in einer Ritze. Da waren Asche und harter Matsch und Kekskrümel auf den Mustern des Teppichs, ein toter Falter, die Beine in die Luft gestreckt, zwischen der Wasserkaraffe und einem staubigen Glas. Seine Muskeln brannten, die Sehnen brannten, die Gelenke brannten, die Knochen bevölkerten sich bei der geringsten Bewegung mit stechenden Messerschneiden und Nägeln, die wie Hämorrhoiden geweiteten Lider kackten die Augen aus. Er zog sich, ohne sich zu waschen, an (nicht ein einziges Wasserglitzern
im Emaillekrug), ein oder zwei Mädchen stolperten, in Handtücher gewickelt, wie Maulwürfe über den Flur, Wo waren wir gestern? wo habe ich den Wagen gelassen?, der Portier, der sich vor einem Spiegelchen neben der Schlüsselleiste rasierte, verlangte hundert Escudos extra (Es ist schon halb eins, Kumpel, Sie kennen die Bestimmungen wohl nicht, Kumpel), während seine Ohren, Schaum abschüttelnd, zuckten wie die von ertrunkenen Pferden. Eines Abends, als kleines Kind, war der Oberstleutnant mit seiner Mutter in dem Augenblick an den Strand gekommen, an dem die Bademeister mit Seilen eine verstorbene, von Krebsen zerfressene und mit Gasen aufgeblasene Stute hinter sich herzogen, und manchmal, wenn er in Afrika, in der Offiziersmesse, beim Zahnarzt, einem Abendessen bei Freunden die Augen schloß, da kam das Bild des ertrunkenen Pferdes mit wie Teppichfransen hängender Mähne und großen leeren Augenhöhlen voller Trauben aus Fliegen und roten Insekten, die übereinanderkrabbelten

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