Fado Alexandrino
schlug der Funker vor, der sein drittes Glas Alka-Seltzer in Folge rülpste (und die Brausetablette stieg in der Speiseröhre
auf und nieder, kreiselte und wurde, einen Schwanz aus Blasen ausstoßend, immer kleiner). Die Weiber sind von intimen, persönlichen Geschenken immer hin und weg.
– Durch was für lange Nächte bin ich sechs Monate lang gegangen, Herr Hauptmann, murmelte der Soldat, hörte vollkommen verlassen durch das Fenster das Knistern der Kohlpflanzen, der Küken, der metallischen Antennenbüsche, die sich schüttelten und beugten. Ich ereichte den nächsten Tag mit vor Skorbut an den Kiefern klingelnden Zähnen, als wäre ich Alptraumewigkeiten lang in den Bettüchern gereist.
– Und daher kein Wort, um die Alten nicht zu erschrecken, Herr Hauptmann, sagte der Leutnant. Schließlich und letzten Endes wußte nicht einmal ich von dem Kind, und außerdem sterben viele Kinder, nicht wahr?
– Noch eine Versammlung mit dem Minister heute? wunderte sich im Gekläffe des Hundes die Stimme der Parfümwolke. Auch wenn keine Revolutionen in Sicht sind, auch wenn alles ganz ruhig ist, auch wenn Oberst Ramos mir versichert, daß die Schießereien, die Verschwörungen, die Staatsstreiche aufgehört haben?
– Und Sie haben sich allmählich in das Mädchen verliebt, Herr Kommandeur? fragte der Leutnant.
– Verliebt, ich weiß nicht, ein Kerl mit siebenundvierzig Jahren hat das Alter für Kindereien weit hinter sich gelassen, der läßt sich nicht auf den erstbesten Unsinn an, und dennoch rief er sie drei- oder viermal vormittags im Laden an, und dennoch unterbrach er Audienzen und Arbeitssitzungen, um bang ihrem Atem und ihrem Lachen am anderen Ende der Leitung zu lauschen, und dennoch begleitete er sie wahnsinnig verlegen in von Musik und bunten Scheinwerfern dröhnende Nachtclubs, um sie an einem diskreten Tisch zu liebkosen und abzutasten, der sogleich von Gruppen lärmender, sportlicher Jugendlicher ohne Krawatte besetzt wurde, die ihm die Zigaretten wegrauchten, seinen Whisky austranken und ihn mit einer Lockerheit duzten, die ihn zu Eis
gefrieren ließ. In eine Ecke zusammengekauert, in der er widerwillig den Stuhl und das Tellerchen mit Kartoffelchips oder Erdnüssen oder Popcorn mit einem schnurrbärtigen Jungen teilte, mit der Freundin des schnurrbärtigen Jungen, mit ihren bergigen Brüsten, mit dem dicken Bruder des schnurrbärtigen Jungen und einem Mulatten, der schlecht roch und hin und wieder ungeheure Niagaralacher ausstieß, fühlte sich der Oberstleutnant so fehl am Platze wie ein Clown bei einer Totenwache, wurde sich schmerzlich seiner Glatze, seiner weißen Haare, seiner Falten, seines Hexenschusses bewußt, erinnerte sich voll Bitterkeit an die Ratschläge des Arztes (Nur ganz wenig Salz ins Essen und vorsichtig mit dem Herzen), er verwahrte die Krawatte in der Tasche und knöpfte das Hemd in der Hoffnung auf, ein paar Monate jünger zu werden, ließ zu, daß ihn die Boutiquenverkäuferin unternehmungslustig ins Ohr biß, ließ sich am Arm mitten auf die Tanzfläche ziehen, wo er, angetrieben von der Musik, den an- und ausgehenden Lichtern, von den Schreien, vom Gelächter, von den Gesichtern, die sich ohne Unterlaß näherten und entfernten, mit einer ungelenken Pantomime aus Kontorsionen und Sprüngen begann, er trocknete den Schweiß auf Wangen, Schlüsselbeinen und Hals mit dem Taschentuch, fühlte, wie die Zunge des Mädchens ihm die Prothese aus Draht und Plastik vom Gaumen löste, bat den Kellner um seinen Regenmantel, half ihr in den Mantel, der miefende Mulatte drückte ihm überschwenglich die Rippen, der mit dem Schnurrbart verpaßte ihm komplizenhafte Klapse auf die Hinterbacken, er steckte einen Zwanzigescudoschein in die begeisterte Hand des Türstehers, nieste in der Kälte draußen (Ich werde eine Grippe bekommen, ich werde bei diesem Wetter ganz bestimmt eine Grippe bekommen), die Scheiben und die Scheinwerfer des Wagens bedeckten sich mit einem Tröpfchennebel, noch mehr Küsse, noch mehr Gedrücke, noch mehr erschöpftes Gehampel, während der Motor rauh, zitternd, stotternd warm wurde, die Windschutzscheibe beschlug außen und beschlug innen wie diese Flakons, in denen Siebenmonatsföten
in gelbem Wasser schwimmen, und dann die Pensão Jasmim, die Pensão Moçâmedes, die Pensão Pã̃ris, die Pensão Alabama, die Pensão Antunes, die Estalagem Marvila, Heißwasser und Dusche, ein vager neugieriger Seitenblick zur Boutiquenverkäuferin hinüber, ein Seitenblick
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