Fächerkalt
nur einen abfälligen Blick.
»Ja, es
stimmt, Irene hat auch ganze Möbelstücke aus neuem Holz gebaut, aber dann mit Öl,
Wachs und noch so ein paar Geheimnissen eine unvergleichliche Patina erzielt. Sie
war echt genial. Mit Schrotschüssen hat sie jedenfalls nicht gearbeitet.«
»Konnte
sie davon leben?«
»Ach was«,
lachte Jean Hambacher, der jetzt ein wenig gelöster wirkte.
Lindt registrierte
das und war sich sicher, nicht mehr belogen zu werden, zumindest nicht im Moment.
»Wo denken
Sie denn hin?«, fuhr der Elsässer fort. »Irene bekam monatliche Zahlungen aus dem
Stahlwerk. Dafür hatten bereits ihre Eltern gesorgt. Sie hätte niemals arbeiten
müssen, doch die Beschäftigung mit Holz tat ihr gut und es bereitete ihr höchste
Zufriedenheit, maximale Perfektion zu erreichen.«
»Kannten
Sie sie gut?«
»Wie meinen
Sie das?«, stutzte Hambacher. »Wollen Sie wissen, ob wir mehr als nur Geschäftspartner
waren?«
»Soweit
wir feststellen konnten, lebte sie alleine.«
»Irene hat
ihren Mann vor fast 20 Jahren verloren. Ob sie das besonders bedauert hat, weiß
ich nicht, denn viel Gutes hat sie nie über ihn erzählt. Wenn ich richtig weiß,
war es ein Stromunfall beim Rasenmähen, blank gescheuertes Kabel oder so. Der klebte
richtig an der Maschine fest und wurde quasi gebraten.«
»Das hat
sie Ihnen erzählt?«, wunderte sich Oskar Lindt.
»Eigentlich
war sie nicht sehr gesprächig, aber wenn ich kam, tranken wir immer ein, zwei Fläschchen
Edelzwicker miteinander – dann wurde sie zutraulicher«, zwinkerte Hambacher und
knetete seine langen schlanken Finger durch.
»Zutraulicher?«
»Ja, was
soll ich lange drum herumreden, Sie vermuten es ja doch. Es blieb nicht nur beim
Wein. Sie hatte eben auch ihre Bedürfnisse.«
»Hat es
Sie genervt, als plötzlich Irenes Neffe aufgetaucht ist?«
»Sie hat
dafür gesorgt, dass wir nicht gestört wurden. Ich habe ihn kaum zu Gesicht bekommen.
Wenn ich ehrlich bin, er war mir nicht besonders sympathisch. Echter Loser, hat
alles bekommen und alles verdummt!«
»Kennen
Sie Irenes Bruder?«
»Den Eduard?
Nur einmal gesehen. Sein Blick – zum Fürchten. Den mochte ich überhaupt nicht, aber
sie hing irgendwie auf eine besondere Art an ihm. Deswegen war sie öfter da oben
im Schwarzwald.«
Lindt überlegte,
ob er weiter nachbohren sollte, ließ es jedoch sein. Stattdessen ging er auf Frontalangriff:
»Wieso haben Sie Irene Stoll erdrosselt?«
Hambacher
sprang von seinem Stuhl in die Höhe und schrie auf: »Was? Ich? Nein, das lass ich
mir nicht anhängen! Auf gar keinen Fall! Niemals!«
»Im Affekt,
oder waren Sie betrunken?«
»Nein, überhaupt
nicht. Ich habe nichts damit zu tun. Ich hab sie nur …«
»Ja, reden
Sie!«, befahl der Kommissar.
Jean Hambacher
ließ sich auf den Stuhl zurückfallen. »Sie hing im Schrank.«
»Wo? Machen
Sie Witze?«
»Nein, wirklich.
Ich bin ja selbst zu Tode erschrocken. Ausgerechnet in diesem teuren Stück. Barock,
bestimmt 20.000 wert.«
»Echt?«
»Absolut
echt, nichts Nachgemachtes. Garantiert. Steht in meiner Ausstellung, falls Sie ihn
sich ansehen wollen.«
»Worauf
Sie sich verlassen können«, brummte der Kommissar.
»Aber es
ist mir immer noch ein Rätsel, wie man sich in einem Schrank …«
»Wegen der
Höhe?«, fragte Lindt. »Da kann ich Sie beruhigen. Es geht. Selbst an Türgriffen
haben sich schon Menschen stranguliert. Einfach lange genug hängen lassen.«
Der Elsässer
schüttelte sich vor Entsetzen. »Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wieso sie
das hätte tun sollen.«
»Wie hat
Irene Stoll auf Sie gewirkt? War sie denn zufrieden mit ihrem Leben?«
Jean Hambacher
wurde nachdenklich. »Wer kennt einen anderen Menschen schon wirklich? Selbst wenn
man täglich mit jemandem zusammen ist, weiß man nicht alles über ihn.«
»Sie sind
verheiratet?«
Hambacher
nickte. »Jetzt denken Sie bestimmt schlecht von mir?«
»Seien Sie
unbesorgt, uns ist nichts Menschliches fremd.« Lindt prüfte während des Gesprächs
permanent den Blick seines Gegenübers und er hatte weiterhin den Eindruck, nicht
angelogen worden zu sein. »Wieso haben Sie denn nicht die Polizei geholt?«
Die Antwort
kam sehr verzögert.
»Am besten,
Sie bleiben so ehrlich wie bisher«, ermunterte ihn der Kommissar.
»Ja, also.
Ich hab’s mir natürlich überlegt. Aber dann … der Schrank … den hätte ich nie …
und auch die anderen Stücke, die sie noch da hatte …«
»Nur deswegen?«
»Ich wollte
ja nicht leer
Weitere Kostenlose Bücher