Fächerkalt
Fieberhaft wälzten die Beamten der Sonderkommission Vermisstenakten aus
den 60er-Jahren. ›Weiblich, 20 – 30 Jahre alt, Karlsruhe und 50 Kilometer Umkreis‹,
lauteten die Vorgaben des Chefermittlers.
Gegen 14
Uhr waren insgesamt 54 Namen an die Korkwand des Besprechungsraumes gepinnt. Bei
den meisten dieser vermisst gemeldeten Frauen konnten über die Einwohnermeldeämter
sogar Verwandte ausgemacht werden. Meistens waren es Geschwister, in sieben Fällen
gelang es, Cousins oder Cousinen zu ermitteln.
Bis in den
späten Abend hinein waren die Beamten unterwegs, um von Adresse zu Adresse zu fahren.
Die meisten Befragten hatten nur mehr wenige Erinnerung an die Geschehnisse der
60er-Jahre. Vor allem die Männer litten unter Gedächtnislücken. Bei manchen Frauen
dagegen war es anders. Einige konnten sich noch sehr genau erinnern, welche Freunde
ihre damals spurlos verschwundene Schwester oder Cousine gehabt hatte. Direkte Hinweise
auf eine Verbindung zu Eduard von Villing wollten sich allerdings nicht einstellen.
Gegen 19.30
Uhr meldeten zwei Ermittlungsteams endlich vage Spuren. Die Schwester der im pfälzischen
Landau vermissten Angelika Dörfel war sich sicher, von einem schlanken, hochgewachsenen
und echt reichen Mann zu wissen, der irgendwo in Karlsruhe gewohnt hatte. Zu Gesicht
bekommen habe sie ihn allerdings nie. Außerdem dauerte die Liaison bis zum spurlosen
Verschwinden der Angelika gerade mal sechs Wochen.
Auch zwei
Kripobeamte, die im Kraichgau unterwegs waren, konnten einen Erfolg melden. »Vier
Wochen, bevor sie damals auf Nimmerwiedersehen entschwunden ist«, gab eine Bäckersfrau
aus Oberderdingen zu Protokoll, »hat mir die Marianne mal anvertraut, sie hätt’
einen echt tollen Mann kennengelernt. Von seinen dunklen Augen war sie hin und weg.
Und mords die Kohle muss der gehabt haben. Aber er war mit einer anderen zusammen.
Keine Ahnung, ob sie wirklich was mit ihm gehabt hat, denn wenig später war sie
weg.«
»Unbedingt
Bilder mitbringen, wenn ihr irgendeine Spur habt«, war die Anweisung gewesen, und
so hingen am Abend die vergilbten Fotos von Marianne Buchmüller und Angelika Dörfel
an der Korkwand im Konferenzraum des Polizeipräsidiums.
»Schwach,
leider«, beurteilte Oskar Lindt die Beweiskraft der Bilder. Allerdings hatten die
Kollegen auch ihre Wattestäbchen ausgepackt und die leiblichen Verwandten um DNA-Proben
gebeten.
Frau Dr.
Salzmann wiederum war es gelungen, bei allen Skeletten halbwegs brauchbare Reste
von Knochenmark zu entnehmen, und so gingen die Beweismittel noch in derselben Nacht
per Kurier ins LKA.
Am nächsten Morgen brach plötzlich
Hektik aus. Nicht etwa, dass sich die Fahrzeuge von Eduard von Villing bewegt oder
dass die Abhörmikrofone verdächtige Telefonate gefunkt hätten. Nein, der Alte war
ortsfest in seiner Einöde. Ab und zu zeigten sich Bewegungen seines alten Jeeps,
aber alles nur im Waldbereich des Hofes, und häufig war er wohl zu Fuß unterwegs.
Wenn er
telefonierte, dann nur mit der Geschäftsleitung des Stahlwerks, um jemanden für
suboptimale betriebswirtschaftliche Kennzahlen in den Senkel zu stellen.
Der Wirbel
ging von Rastatt aus. Gegen halb elf ein Notruf über 110. Eine schwer verständliche
Stimme rief: »Kommen Sie, schnell!« Die sofort durchgeführte Rückwärtssuche nach
der Nummer im digitalen Telefonbuch ergab einen polizeibekannten Anschluss im Industriegebiet.
Die Streifenwagenbesatzung, die als Erste eingetroffen war, forderte umgehend Notarzt
und Rettungsdienst an. »Schwere Kopfverletzungen!«
Das Gesicht
von Trödel-Willi glich einer breiigen dunkelroten Fleischmasse, an seinem Hinterkopf
klaffte eine handtellergroße Platzwunde. Der Mann war in tiefe Bewusstlosigkeit
versunken und sein Schuppen total verwüstet, alles kurz und klein geschlagen. ›Christoph
43‹ flog bereits ab in Richtung der Neurochirurgie des Karlsruher Städtischen Klinikums,
als die Beamten der Rastatter Kriminalpolizei am Tatort eintrafen. Die gesamten
Aktenordner aus dem Regal hinter dem Verkaufstresen waren verstreut, die darin versteckte
Überwachungskamera hatte Totalschaden, doch der Chip mit der Aufzeichnung konnte
geborgen werden, äußerlich zumindest unbeschädigt.
»Dass er
es überhaupt zum Telefon geschafft hat«, wunderten sich die Polizisten und auch
Oskar Lindt, der zusammen mit Jan Sternberg sofort losgefahren war, blickte schockiert
auf das Bild der Zerstörung, das sich ihm bot.
Die örtliche
Kriminaltechnik machte bereits
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