Fänger, gefangen: Roman
musste ... dass er für seinen Vater niemals gut genug sein würde – diese Hoffnungslosigkeit, dass sich nie was ändern würde.
Mit Holden ist es dasselbe. Es ist nicht so, dass er rumjammert wie ein Kleinkind und schreit, weil er keinen Schokoriegel bekommt. Es ist schwer genug rauszufinden, wie die Welt funktioniert, ganz zu schweigen von dem Irrsinn, wie die Erwachsenen sie vermurkst haben. Wie sie darauf bestehen, dass Noten wichtig sind, und es ihnen egal ist, ob man tatsächlich was gelernt hat. Sie kommen nicht ein einziges Mal darauf, wie horrormäßig für uns die Vorstellung ist, dass wir ihren Schwachsinn eines Tages ausbaden und vielleicht sogar die Welt in Ordnung bringen müssen.
Wäre ich nicht so froh gewesen, dass meine Eltern zur Abwechslung mal nicht stritten, hätte ich Dad wegen seiner Bemerkung über dieses Nur-’ne-Story-Ding die Meinung gesagt. Ich hasse es, wenn Erwachsene uns Jugendliche wegen unserer Unerfahrenheit runtermachen. Als ob wir was dafür könnten, dass wir noch nicht so lange gelebt haben wie sie!
Jedenfalls lächelte Dad nach seiner Bemerkung über Holden und massierte Mom die Schultern. Von mir nahm er gar keine Notiz mehr. Kuscheln ist etwas, das die beiden immer seltener machen. Ich wollte es ihnen nicht verderben, indem ich einen Streit über Holden anfing.
Dad lehnte sich über Moms Schulter, und ihre Köpfe berührten sich. »Weißt du noch, als wir das Buch gelesen haben? Bei Mr Nolan in Geisteswissenschaft. Und deine beste Freundin Rose beschloss, nach New York abzuhauen.«
»Ich war schrecklich neidisch auf Rose Pelletier.«
Mein Vater zog verblüfft eine Schnute. »Du wolltest auch nach New York?«
Mom schüttelte den Kopf. »Ihr Onkel hatte ihr diese perlenbestickte Weste aus Indien mitgebracht, und sie schaffte es immer, in der letzten Reihe den Platz neben Lewis Murray zu ergattern.«
»Sie war süß.«
Süß?
Ich stöhnte. Hörten die sich eigentlich selbst reden?
Aber um ehrlich zu sein, war ich froh, dass sie mich vergessen hatten. Es ist anstrengend, wegen jeder Kleinigkeit, die du sagst oder tust, im Mittelpunkt zu stehen. Nick nutzte die Gelegenheit, seine Spaghetti in den Müll zu schieben. Noch ehe Mom und Dad etwas sagen konnten oder sogar was bemerkten, war er draußen und kickte den Fußball gegen unsere Hauswand. Ich stand auch auf und drehte mich, um meinen Teller auszuleeren, und da küssten sie sich. Versteht ihr, was ich Dad betreffend meine?
Schneller Vorlauf zu Ende August.
»Daniel«, ruft Dad wieder, ohne zu merken, dass ich direkt hinter ihm stehe. Wenn er so konzentriert über was nachdenkt, muss es was Ernstes sein. Normalerweise ist er sehr geduldig und lebt nach dem Motto
Alle Dinge geschehen ganz von allein.
Er ist überzeugt, dass er alle Zeit der Welt hat. Sein Job ist es, Schulbücher rauszubringen, und das kann er überall machen. Was ein Glück für uns ist, mit dem Hausboot und so.
»Ja, Dad, was gibt’s?« Als er die Hand ausstreckt, um mir durchs Haar zu wuscheln, ducke ich mich weg. »Dad!«
»Hör zu, deine Mutter fährt einkaufen, und sie dachte, du willst vielleicht mit in die Stadt und dir die Haare schneiden lassen, bevor die Schule nächste Woche wieder anfängt.«
»Du hast gesagt, ich könnte sie so lang wachsen lassen, wie ich will.«
»Ja, im Sommer. Aber du willst doch nicht, dass die Lehrer auf der Highschool dich für faul halten, oder? Ohne Schnitt kein Schnitt.« Er lacht über sein Wortspiel.
Ich stöhne. »Mom hat gesagt, sie will gar nicht, dass ich noch zur Schule gehe. Du weißt schon, wegen all der Keime.«
»Das besprechen wir noch.«
»Du hattest auf der Highschool auch lange Haare.«
Er sieht mich überrascht an.
»Dein Jahrbuch«, erkläre ich.
»Tja, richtig, aber damals gab es einen Krieg. Langes Haar war ein Statement.«
»Ist das in Ruanda etwa kein Krieg?«
Er zögert so lange, dass wir beide wissen, dass ich gewonnen hab. Dann wechselt er in den Standard-Eltern-Modus. »Du kommst nicht aufs College, wenn du deine Highschool-Lehrer nicht beeindruckst.«
»Du hast es auch ohne College geschafft.«
»Ich habe die Abendschule besucht. Das ist der härteste Weg, ein Studium durchzuziehen.«
»Ich dachte, du würdest deinen Traum leben. Du und Mom, ihr sagt doch immer, wie froh ihr seid, dass ihr nicht in dieser Tretmühle seid wie Leonards Dad oder Mr Hanaday.«
»Mr Hanaday ist Bankdirektor. Niemand will Mr Hanaday sein. Jedenfalls musst du dir keine Gedanken darüber
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