Fänger, gefangen: Roman
machen, dass du mal Bankdirektor werden könntest.«
Vom Vorderdeck ertönt Moms Stimme. »Stieg, du hast es versprochen.«
»Was versprochen?«, frage ich, während ich hinter meiner rechten Augenbraue einen pulsierenden stechenden Schmerz spüre. Wenn sie seinen richtigen Namen benutzt, ist es wichtig. Sein Spitzname ist Red. Wegen seines Haares, nicht seines Temperaments wegen. Und wenn er hundert Prozent ehrlich wäre, auch wegen seiner politischen Gesinnung.
Dad kniet sich hin, um die Festmacherleine straff zu ziehen. Er stammelt etwas von meinen mathematischen Fähigkeiten und beendet das Gespräch, bevor ich die ultimative Bosheit anbringen kann. Warum brauche ich überhaupt je wieder einen Haarschnitt? Ich werde nicht lang genug leben, um aufs College zu gehen.
Inzwischen fragt ihr euch wahrscheinlich, wie ich aussehe. Das tun die Leute bei Büchern immer. Dass sie rausfinden wollen, ob jemand lockige Haare hat oder wer wen in der Verfilmung spielt. Todsicher ist, dass ich mich nicht selbst spielen kann. (Ist schon in Ordnung, ihr dürft lachen. Perverse Idioten.)
Ohne zu viel zu verraten: Ich seh aus wie meine Mutter. Ich bin nicht sicher, ob das gut ist oder nicht. Dad sagt Ja. Sie ist blond wie die Models, die man in der Urlaubswerbung für Schweden sieht. Ich bin einer der wenigen, der weiß, dass ihr Haar gefärbt ist. Ich hab mal gesehen – als wir eigentlich schlafen sollten –, wie sie eine Tube Färbemittel draufgeschmiert hat und dann mit dieser blauen Plastikhaube mit steifer Schleife unterm Kinn dasaß. Es ist ein Zugeständnis ans Establishment, das sie nicht gerne zugibt.
Aber auch ohne dieses Zeug ist sie nicht so alt, dass sie schon ganz graue Haare hätte. Ich glaube nicht, dass sie sich die Haare aus Eitelkeit färbt; sie ist einfach nicht stark genug hinzunehmen, dass die Zeit auf eine Weise vergeht, die sie nicht kontrollieren kann. Es ist komisch sich vorzustellen, dass die eigene Mutter nicht stark ist. In Geschichten sind Mütter immer wie Bärenmamas, die ihre Jungen beschützen.
Meine beiden Großelternpaare sind tot, aber sie waren allesamt naturblonde Skandinavier mit doppelten Vokalen in ihren fast unaussprechlichen Namen. Joe sagt, wir hätten Glück gehabt, dass Mom ihre eigene Vorstellung von Namen hatte. Wir hätten auch so komische Namen haben können wie den von Dad oder Militärnamen wie Helmut mit doppelten Punkten über den Vokalen. Ich denke, Mom besteht deshalb auf blonde Haare, weil sie damit zu ihren Wurzeln zurückkehrt.Es würde zu all ihrem Wiedergeburtshokuspokus passen. Sie trägt ihr langes Haar normalerweise offen, wie Mama Cass auf dem Cover der Mamas-and-Papas-Schallplatte in Moms und Dads Sammlung. Eine ihrer Lieblingsplatten. Das sieht man an den abgestoßenen Ecken und weißen Flecken, wo die Farbe abgescheuert ist. Ein sicheres Zeichen ist natürlich auch, dass sie alle Texte kennen, wenn die Lieder mal im Radio laufen.
Während ich mit Dad übers Haareschneiden rede, kommt Mom vom vorderen Deck zu uns. Im Badeanzug – von hinten, wo man die ganzen Sorgenfalten in ihrem Gesicht nicht sieht – kann sie noch als zwanzig plus durchgehen. Einmal, als ich etwa dreizehn war, hatte ich einen Freund, der immer wieder so Andeutungen machte, wie heiß meine Mutter sei, bis ich ihm eines Tages meinen Rucksack um die Ohren schlug. Kinder sollten solche Sachen nicht über Erwachsene sagen. Das ist abartig. Es ist nicht richtig. Nachdem mein Vater unseren Kampf beendet hatte, wollte keiner von uns sagen, worum es ging.
Jetzt denkt aber nicht, ich wäre ein gewalttätiger Mensch. Das bin ich nicht. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich nicht gewalttätig sein, mit diesen Friedensengeln von Eltern.
»Daniel, Schätzchen.« Mom zieht ihre Worte, als würde Honig von einem Löffel tropfen. Sie hat diesen Südstaatenakzent, bei dem Fremde auf der Stelle stehen bleiben. Die Leute erwarten eine dumme Blondine, und dann sind sie schockiert, wenn sie merken, wie schlau sie ist. »Streite nicht mit deinem Vater. Wir haben das alles schon durchgekaut. Schule ist deine Arbeit. Und solange du in der Schule bist, können sie dich nicht einziehen.«
»Du meine Güte, Sylvie, sie ziehen doch keine Fünfzehnjährigen ein. Vor allem nicht in Friedenszeiten, wenn sie noch nicht mal Einberufungsbefehle ausgeben. Wir reden über einen Haarschnitt. Keine neue Weltordnung.«
Nachdem Mom den Subaru-Kombi an der Hauptstraße angehalten hat, gibt sie mir einen
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