Fänger, gefangen: Roman
nächsten Freitage kommst du besser mal vorbei. Ich mein’s ernst.«
Nick reißt das Boot scharf herum, und die Gischt spritzt in hohem Bogen auf und regnet auf Joe runter, der ihm den Vogel zeigt.
Nachdem Rusty weggefahren ist, wobei Joe die ganze Zeit wie ein Schwachkopf aus dem Beifahrerfenster gewinkt hat, geh ich rein, um meine verschwitzen Ruderklamotten auszuziehen. Joe hat mir auf der oberen Koje ein Geschenk dagelassen. Ein Umschlag mit meinem Namen in seinen perfekten Bauzeichnerbuchstaben, mit extra Klebstreifen auf der Lasche. Innen drin sind zwei Kondome.
Am Samstagabend fährt Mack uns vier zur Party bei den Yowells an der Goldküste, wo auch die anderen Nobelvillen mit Flussblick stehen. Mack bildet sich mächtig was ein, aber ich mache ihm keinen Vorwurf. Er ist als Johnny Cash verkleidet: trägt diesen Gürtel meines Vaters aus den Sechzigern, mit der Riesenschnalle, dazu schwarze Jeans und ein schwarzes Hemd mit kleinen weißen Metallschließen anstelle von Knöpfen. Megacool.
Nachdem er den Wagen in Leonards Hof geparkt hat, neben dem gut ein Dutzend anderer Autos, geht Juliann einmal im Kreis um ihn herum. »Wo hast du bloß dieses Hemd aufgetrieben? Es ist perfekt für den guten alten Mann in Schwarz. Sind das echte Strasssteine?« Sie betrachtet Macks Oberkörper aus der Nähe, woraufhiner – vollkommen in seiner Rolle aufgegangen – umherstolziert wie ein Gockel.
»Nicht sehr furchteinflößend«, sage ich. »Bei Halloween geht’s doch um Geister und Gnome, nicht um Rockstars.«
Die Zwillinge kommen quasi als Gesamtkunstwerk, als Doppelgänger. Sie haben große schwarze Ringe um die Augen, damit sie wie Leidende aus dem Jenseits aussehen, und tragen beide die gleichen grauen Bettlaken. An den Seiten sind Löcher drin für die Arme, die in schwarzem Stretchstoff stecken, aus dem diese schwarzen Anzüge von Tänzerinnen gemacht sind. Meine Mutter hätte uns niemals so gute Laken zerschneiden lassen. Die Mädchen haben Baseballkappen mit Farbe besprüht, und das D für Doppelgänger vorne auf Merediths Laken ist so herum geschrieben, dass es wie das Spiegelbild von Juliann aussieht. Einfach, aber effektiv. Leider funktioniert die Verkleidung nur, wenn die beiden zusammenbleiben – und das ist genau das Gegenteil von dem, worauf Mack und ich gehofft haben.
Mack versucht, die richtige Stimmung aufzubauen, und reagiert auf das Kompliment über sein Kostüm. »Weißt du, ein Doppelgänger ist vielleicht gar nicht so glücklich darüber, dass sein Schatten ihm, äh ... ihr immer folgt. Da kann sie gar keinen richtigen Spaß haben.«
Obwohl Juliann erst kichert, hört sie sofort wieder auf, als ihr einfällt, wer sie sein soll. »Nicht Schatten. Spiegelbild. Ihre fehlende Hälfte.«
»Doppelgänger wollen gar keinen Spaß haben«, provoziere ich Mack.
»Du weißt doch: geteiltes Leid ist halbes Leid«, fällt auch Meredith ein.
Als ich weitermache, sehe ich, dass Mack die Stirn runzelt, als wollte er sagen:
Warum hältst du nicht einfach die Klappe?
Ich stelle meine Stimme ganz tief. »Doppelgänger gehen für alle Ewigkeit auf dieser Erde umher. Sie gehören weder ins Diesseits noch ins Jenseits. Sie sind dazu verdammt, sich elend zu fühlen.«
»Was, wenn ...« Mack hakt die Daumen hinter den Gürtel und brabbelt Blödsinn, hin- und hergerissen zwischen seiner Rolle und damit,einigermaßen glaubwürdig rüberzubringen, warum die eine Hälfte der Doppelgänger mit dem Mann in Schwarz gehen sollte und die andere mit Captain Hook. »Was, wenn sie eigentlich zwei unabhängige Menschen sind und der Doppelgänger nur Besitz von ihnen ergriffen hat? Von ihren Seelen, meine ich. June Cash, zum Beispiel. Und ...«
Jetzt kommt er nicht weiter. Captain Hook hat nun mal keine weiblichen Anhänger. Wir stehen seit gefühlten zehn Minuten in Leonards Vorgarten, und alle möglichen Geister und Gespenster sind schon, angemessen ehrfürchtig pfeifend wegen ihm und übertrieben schaudernd wegen der Mädchen und mir, an uns vorbeigezogen. Meredith zupft sich die Kappe vom Kopf und setzt sie verkehrt rum wieder auf.
»Diese Doppelgängerhälfte fühlt sich elend, weil sie nicht tanzen kann.« Sie fasst meine Hand, und weg sind wir. Ich höre, wie Mack und Juliann sich angestrengt überlegen, was für sie passen könnte. Und dann sind wir drinnen, und ich stelle Meredith dem Senator und seiner Frau vor.
Senator Yowell trägt ein gestärktes Hemd, der Kragen ragt wie eine starre Burgmauer aus dem
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