Fahrenheit 451
du zur Feuerwehr gingst.«
»Überlegen! Was gab es da zu überlegen? Mein Vater und mein Großvater waren bei der Feuerwehr. Ich bin ihnen im Schlaf nachgelaufen.«
Das Wohnzimmer war von Tanzmusik erfüllt.
»Heute ist doch der Tag, wo du Frühdienst hast«, bemerkte Mildred. »Du hättest schon vor zwei Stunden gehen sollen. Ist mir eben eingefallen.«
»Es ist nicht nur wegen der Frau, die umkam«, erklärte Montag. »Nachts dachte ich an all das Kerosin, das ich in den letzten Jahren verbraucht habe. Und an die Bücher habe ich gedacht. Zum erstenmal wurde mir klar, daß hinter jedem Buch ein Mensch steht. Jedes einzelne mußte erst von einem Menschen erdacht werden. Er hat vielleicht lange gebraucht, bis er es auf dem Papier hatte. Und nicht einmal dieser Gedanke war mir bisher gekommen.« Er stieg aus dem Bett.
»Es hat einer vielleicht seiner Lebtag daran gearbeitet, hat sich in der Welt umgetan und einige seiner Erfahrungen zu Papier gebracht, und dann komme ich, und in zwei Minuten ist das alles nie gewesen.«
»Verschone mich damit«, sagte Mildred. »Ich bin nicht schuld daran.«
»Dich schonen! Das sagst du so, aber wie kann ich mich selber schonen? Was uns not tut, ist nicht, verschont zu werden. Was uns not tut, ist von Zeit zu Zeit richtig aufgestört zu werden. Wie lange ist es her, seit du richtig verstört warst? Aus einem triftigen Grund, einem wesentlichen Grund?«
Und dann verstummte er; er erinnerte sich nämlich an die vergangene Woche und an die beiden weißen Mondsteine, die zur Decke emporstarrten, und an die Pumpe und die Schlange mit dem Suchauge und an die beiden Kerle. Aber das war eine andere Mildred gewesen, eine, die so tief im Inneren der jetzigen Mildred steckte und so verstört, so richtig verstört war, daß die beiden Frauen einander nie begegnet waren. Er wandte sich ab.
Mildred sagte: »Jetzt haben wir den Salat. Draußen vor dem Haus. Sieh mal, wer da steht.«
»Ist mir doch einerlei.«
»Ein Phönixwagen ist vorgefahren, und einer in einem schwarzen Hemd mit einer feuergelben Schlange am Ärmel kommt auf das Haus zu.«
»Hauptmann Beatty?«
»Hauptmann Beatty.«
Montag rührte sich nicht, starrte nur auf die leere weiße Wand vor ihm.
»Geh, mach ihm bitte auf. Sag ihm, ich sei krank.«
»Sag's ihm selber!« Sie lief hierhin und dorthin und blieb dann mit aufgerissenen Augen stehen, als aus dem Türmelder leise, leise ihr Name kam, Frau Montag, Frau Montag, jemand hier, jemand hier, Frau Montag, Frau Montag, jemand ist hier. Die Stimme des Türmelders verklang.
Montag vergewisserte sich, daß das Buch unter dem Kissen gut versteckt war, stieg unbeholfen wieder ins Bett, rückte die Decke über den Knien und dem Oberkörper zurecht, halb sitzend, und nach einer Weile entfernte sich Mildred, um die Tür zu öffnen, und Hauptmann Beatty schlenderte herein, die Hände in den Taschen.
»Stellen Sie die ›Verwandtschaft‹ ab«, sagte er, während er sich nach allem im Zimmer umsah, außer nach Montag und seiner Frau.
Diesmal eilte Mildred. Die quäkenden Stimmen in der Stube erstarben.
Mit friedfertiger Miene ließ sich Hauptmann Beatty in dem bequemsten Sessel nieder. Er ließ sich Zeit mit dem Stopfen der Messingpfeife, zündete sie umständlich an, stieß eine Rauchwolke aus. »Ich dachte, ich schau mal vorbei, wie es dem Kranken geht.«
Als Montag fragte, wieso er es erraten habe, lächelte Beatty sein Lächeln, das das süßliche Hellrot des Zahnfleisches und das zuckrige Weiß der Zähne entblößte. »Ich habe es kommen sehen. Du wolltest dich vorhin für eine Nacht abmelden.«
Montag saß im Bett, ohne etwas zu erwidern.
»Nun«, fuhr Beatty fort, »nimm eben frei für eine Nacht.« Er besah sich sein immerwährendes Feuerzeug, auf dessen Deckel stand Garantiert eine millionmal zu gebrauchen, und begann zerstreut damit zu spielen, die Flamme anzuknipsen, auszublasen, anzuknipsen, auszublasen, anzuknipsen, ein paar Worte zu sprechen, auszublasen. Er sah in die Flamme. Er blies sie aus, sah dem Rauch zu. »Wann bist du wieder auf dem Damm?«
»Morgen. Übermorgen vielleicht. Anfangs nächster Woche.«
Beatty qualmte. »Jeder Feuerwehrmann macht das früher oder später einmal durch. Er braucht nur etwas Einsicht, er muß wissen, wie die Sache innerlich zusammenhängt, muß die Geschichte unseres Berufs kennen. Gehört heutzutage leider nicht mehr zur Ausbildung.« Paff, paff. »Nur noch der Kader weiß heute darüber Bescheid.« Paff, paff. »Ich
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