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Fahrenheit 451

Fahrenheit 451

Titel: Fahrenheit 451 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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diesmal dringender. Montag hob ein einzelnes Bändchen auf. »Wo fangen wir an?« Aufs Geratewohl schlug er das Buch auf und warf einen Blick hinein. »Wir fangen wohl am besten an, indem wir anfangen.«
    »Er wird hereinkommen«, stöhnte Mildred. »Er wird uns mitsamt den Büchern verbrennen!«
    Schließlich verstummte der Türmelder. Eine Stille trat ein. Montag spürte, daß jemand vor der Tür stand, wartete, horchte. Dann hörte er Schritte, die sich entfernten.
    »Wir wollen einmal sehen, was das ist«, sagte Montag. Er brachte die Worte nur stockend hervor und mit peinlicher Befangenheit. Dann las er ein Dutzend Seiten da und dort und stieß schließlich auf folgende Stelle.
    »Schätzungsweise haben elftausend Menschen zu verschiedenen Zeiten lieber den Tod erlitten, als daß sie sich bereit gefunden hätten, Eier am spitzen Ende aufzuschlagen.«
    Mildred saß auf der andern Seite des Flurs. »Was heißt das? Es heißt überhaupt nichts! Der Hauptmann hatte recht.«
    »Laß nur«, beschwichtigte Montag. »Wir wollen nochmals von vorn anfangen.«

2
     
     
    Sie saßen im Flur und lasen den langen Nachmittag hindurch, während ein kalter Novemberregen auf das stille Haus herabrauschte. Im Flur, weil das Wohnzimmer leer und grau wirkte, nachdem die Wand ringsum nicht mehr in allen Farben schillerte, mit Frauen in goldenem Flitter und Männern in schwarzen Samtjoppen, die aus Zylinderhüten überlebensgroße Kaninchen hervorzauberten. Das Wohnzimmer war tot, und Mildred guckte immer wieder mit stumpfen Augen hinein, während Montag auf und ab ging und sich wieder hinkauerte und eine Seite bis zu zehnmal laut vorlas.
    »›Es läßt sich nicht genau angeben, in welchem Augenblick eine Freundschaft entsteht. Wenn ein Gefäß tropfenweise gefüllt wird, kommt zuletzt ein Tropfen, der es zum Überfließen bringt, und ähnlich verhält es sich bei einer Reihe von Freundlichkeiten, wo zuletzt eine kommt, die das Herz zum Überfließen bringt.‹«
    Montag saß da und lauschte auf den Regen.
    »Verhielt es sich so bei dem Mädchen von nebenan? Ich wurde einfach nicht klug daraus.«
    »Sie ist tot. Sprechen wir doch um Himmels willen von jemand, der am Leben ist.«
    Montag schritt erregt durch den Flur in die Küche, wo er lange am Fenster stand und dem Regengeriesel an der Scheibe zuschaute; erst als sich sein Zittern gelegt hatte, kehrte er wieder in den dämmrigen Flur zurück.
    Er schlug ein anderes Buch auf.
    »›Hauptthema: das liebe Ich.‹«
    Er schielte nach der Wand. »›Hauptthema: das liebe Ich.‹«
    »Das kann man wenigstens verstehen«, meinte Mildred.
    »Aber bei Clarisse war es nicht das Hauptthema. Sie befaßte sich am liebsten mit allen andern und mit mir. Sie war seit vielen Jahren der erste Mensch, den ich wirklich gern hatte. Sie war der erste Mensch, der sich ernsthaft mit mir abgab.« Er hob die beiden Bücher empor. »Die Verfasser hier sind schon lange tot, aber für mich deuten ihre Worte mittelbar oder unmittelbar auf Clarisse.«
    Draußen vor der Haustür, im Regen, ein leises Kratzen.
    Montag erstarrte. Er sah, wie Mildred sich gegen die Wand warf und nach Luft rang.
    »Jemand – die Tür – warum meldet es die Türstimme nicht ...«
    »Ich habe sie abgestellt.«
    Unter der Türschwelle ein behutsames Schnüffeln, ein elektrischer Hauch.
    Mildred lachte erlöst. »Es ist ja nur ein Hund. Soll ich ihn verscheuchen?«
    »Rühr dich nicht vom Fleck!«
    Stille. Das Rauschen des kalten Regens. Und unter der Türschwelle hindurch der Geruch blauen Starkstroms.
    »Gehen wir wieder an die Arbeit«, sagte Montag ruhig.
    Mildred stieß ein Buch mit dem Fuß weg. »Bücher sind nicht Leute. Du liest vor, aber wenn ich mich umschaue, ist niemand da!«
    Er blickte scheel nach dem Wohnzimmer, das tot und grau war wie die Gewässer eines Meeres, in welchem es sofort von Lebewesen wimmeln würde, sobald man die Elektronensonne einschaltete.
    »Meine ›Familie‹ dagegen«, sagte Mildred, »besteht aus Leuten. Sie erzählen mir was, ich lache, sie lachen mit. Und dann die Farben!«
    »Ja, ich weiß.«
    »Und außerdem, wenn Hauptmann Beatty Wind bekäme von diesen Büchern ...« Sie malte sich die Folgen aus. Erstaunen stand ihr auf der Stirn geschrieben und dann Entsetzen. »Er könnte kommen und das Haus niederbrennen und die ›Familie‹. Das wäre ja furchtbar. Denk doch, wieviel Geld wir da hineingesteckt haben. Warum soll ich Bücher lesen? Wozu?«
    »Wozu! Warum!« rief Montag. »Ich habe

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