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Fahrenheit 451

Fahrenheit 451

Titel: Fahrenheit 451 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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kürzlich die verfluchteste Schlange gesehen. Sie war tot und war doch lebendig. Sie konnte sehen und konnte doch nicht sehen. Willst du sie besichtigen? Du findest sie im Spital in der Unfallabteilung, wo eine Aufzeichnung besteht über all den Mischmasch, den die Schlange aus dir herausgeholt hat! Möchtest du nicht gehen und Einblick nehmen? Du müßtest wohl unter Guy Montag nachschlagen oder vielleicht unter Lebensangst oder unter Krieg. Möchtest du nicht das Haus besichtigen, das vorige Nacht in Flammen aufging? Die Asche durchkämmen nach den Knochen der Frau, die ihr eigenes Haus in Brand steckte? Und Clarisse McClellan, wo finden wir sie? Im Leichenhaus! Horch!«
    Die Bomber durchquerten den Luftraum über dem Haus, immer wieder röchelnd, raunend, pfeifend, wie ein riesiger unsichtbarer Fächer, in einer Leere kreisend.
    »Herrgott«, rief Montag. »Stunde um Stunde immer dieses Zeug am Himmel. Wie, zum Henker, sind denn diese Bomber eigentlich dort hinaufgekommen, ohne daß jemand ein Wort darüber verlöre? Nicht einen Augenblick lassen sie einen in Ruhe. Zwei Atomkriege haben wir entfesselt und gewonnen. Ist es, weil wir einen sollen Bumsbetrieb haben im Lande, daß wir nicht mehr an die Welt denken? Die übrige Welt, die so arm ist, wie wir reich, und kein Mensch schert sich drum. Es gehen Gerüchte, die Welt sei am Verhungern, aber wir sind wohlgenährt. Ist es wahr, daß in der Welt draußen die Menschen sich abschuften, während wir dem Vergnügen leben? Ist das der Grund, warum wir so verhaßt sind? Ich habe von Zeit zu Zeit davon sagen hören, im Laufe der Jahre. Weißt du etwa warum? Ich weiß es jedenfalls nicht. Vielleicht helfen die Bücher uns halbwegs aus dem Dunkel. Sie könnten möglicherweise verhindern, daß wir immer wieder dieselben unsinnigen Fehler machen. Die witzlosen Brüder auf deiner Wohnzimmerwand habe ich allerdings noch nie davon reden hören. Eine Stunde täglich, zwei Stunden, mit diesen Büchern, und wer weiß ...«
    Das Telefon klingelte. Mildred stürzte an den Apparat.
    »Anna!« Sie lachte. »Ja, heute abend läuft der Weiße Clown!«
    Montag begab sich in die Küche und warf das Buch hin. »Montag«, sagte er, »du bist wirklich ein Einfaltspinsel. Was fangen wir jetzt an? Liefern wir die Bücher ab, vergessen wir das Ganze?« Er schlug das Buch auf, um zu lesen, während Mildreds Gelächter an sein Ohr drang.
    Arme Millie, dachte er. Armer Montag, du kannst damit auch nichts anfangen. Aber wo findest du Hilfe, wo findet sich jetzt noch ein Lehrer?
    Halt. Er schloß die Augen. Ach ja, natürlich. Wiederum fiel ihm unwillkürlich der grüne Park ein. In letzter Zeit war ihm oft der Gedanke daran gekommen, aber jetzt sah er deutlich vor sich, wie es zugegangen war damit vor einem Jahr im Stadtpark, als er den alten Mann im schwarzen Anzug dabei ertappt hatte, wie er rasch etwas wegsteckte.
    ... Der Alte sprang auf, als wollte er davonlaufen. Montag sagte: »Warten Sie!«
    »Ich habe nichts getan!« rief der Greis zitternd.
    »Hat auch niemand behauptet.«
    Ohne ein Wort zu sprechen, hatten sie eine Weile in dem sanften grünen Licht gesessen, und dann machte Montag eine Bemerkung über das Wetter, und der Alte gab leise Antwort. Es war eine seltsam stille Begegnung. Der Greis machte kein Hehl daraus, früher Ordinarius für englische Literatur gewesen zu sein, ehe er vor vierzig Jahren auf die Straße gesetzt wurde, als die Letzte philosophische Fakultät mangels an Zuspruch ihre Pforten schloß. Er hieß Faber, und als er schließlich seine Furcht vor Montag verlor, sprach er mit einer melodischen Stimme, den Blick auf den Himmel, die Bäume, den grünen Park gerichtet, und als eine Stunde verstrichen war, sagte er etwas zu Montag, und Montag ahnte, daß es ein reimloses Gedicht war. Dann wurde der alte Mann noch mutiger, und er sagte noch etwas, und wiederum war es ein Gedicht. Faber hielt die Hand über seine linke Rocktasche, als er behutsam die paar Worte sprach, und Montag wußte, wenn er die Hand ausstreckte, könnte er dem Mann einen Band Gedichte aus der Tasche ziehen. Allein, er streckte die Hand nicht aus, er behielt sie auf den Knien, ganz klamm geworden und nutzlos. »Ich spreche nicht über Dinge«, erklärte Faber. »Ich spreche über den Sinn der Dinge. Ich sitze hier und weiß , daß ich am Leben bin.«
    Das war alles, was es damit auf sich hatte. Eine Stunde einseitigen Gesprächs, ein Gedicht, eine Erklärung, und dann, ohne darauf anzuspielen, daß

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