Fahrenheit 451
offene Tür hinaus.
Montag verfolgte durchs Fenster, wie Beatty davonfuhr mit dem funkelnden, feuergelben Wagen.
Auf der andern Seite der Straße reihten sich die Häuser mit ihren flachen Fassaden aneinander. Was hatte doch Clarisse eines Nachmittags gesagt? »Keine Veranda mehr vor dem Haus. Mein Onkel behauptet, früher hätten die Häuser eine Veranda gehabt vor dem Hauseingang. Und da hätten die Leute manchmal des Abends gesessen und hätten geplaudert, wenn sie Lust verspürten, und wenn sie keine Lust dazu verspürten, hätten sie sich im Schaukelstuhl gewiegt, ohne zu reden. Manchmal saßen sie einfach da und ließen sich dies und jenes durch den Kopf gehen. Es heißt, die Architekten seien davon abgekommen, weil die Veranda unschön wirkte. Aber Onkel meint, das sei nur ein Vorwand gewesen; in Wirklichkeit wollten sie es nicht haben, daß die Leute einfach dasaßen und nichts taten, nur schaukelten und plauderten; diese Art von Geselligkeit mißfiel ihnen. Die Leute redeten zuviel und sie hatten Zeit zum Nachdenken. So wurde die Veranda abgeschafft. Die Gärten übrigens auch. Es gibt nicht mehr viele Gärten, in denen man herumsitzen kann. Und dann die Möbel! Schaukelstühle gibt es nicht mehr. Die waren zu bequem. Mein Onkel sagt ... und ... mein Onkel ... und ... mein Onkel ...« Clarissens Stimme verstummte.
Montag wandte sich um und schaute seine Frau an, die mitten im Wohnzimmer saß und mit einem Ansager sprach, der auch mit ihr sprach. »Frau Montag«, sagte er eben. Dies und das und noch etwas. »Frau Montag ...« Und er sagte noch etwas anderes. Ein Zusatzgerät, das sie hundert Dollar gekostet hatte, schaltete jedesmal ohne weiteres ihren Namen ein, wenn der Ansager zu seinem namenlosen Publikum sprach, wobei er die Stelle ausließ, wo die entsprechenden Silben eingesetzt werden konnten. Eine besondere Vorrichtung bewirkte zudem, daß das Bild des Ansagers auf der Fernsehwand die richtigen Mundbewegungen ausführte. Er war ein Freund, kein Zweifel, ein guter Freund. »Frau Montag – nun sehen Sie einmal her.«
Sie wandte den Kopf, obwohl sie offensichtlich nicht zuhörte.
Montag sagte: »Wenn ich heute dem Dienst fernbleibe, ist es nur noch ein Schritt, morgen ebenfalls nicht hinzugehen und überhaupt nicht mehr zur Feuerwache zu gehen.«
»Aber heute abend gehst du doch hin?« fragte Mildred.
»Ich bin noch unschlüssig. Gerade jetzt hätte ich die größte Lust, irgend etwas kaputtzuschlagen und umzubringen.«
»Geh, nimm den Wagen.«
»Nein, danke.«
»Die Schlüssel liegen auf dem Nachttischchen. Schnell fahren hilft mir immer, wenn ich den Koller habe. Hol ungefähr hundertvierzig Kilometer heraus, und deine schlechte Stimmung ist wie verflogen. Manchmal fahre ich die ganze Nacht, ohne daß du etwas davon ahnst. Es macht Spaß draußen auf dem Land. Man überfährt Kaninchen, manchmal Hunde. Geh, nimm den Wagen.«
»Nein, ich will nicht, heute nicht. Ich will dieser komischen Stimmung auf den Grund kommen. Mein Gott, mich hat's gepackt. Ich weiß nicht, was es ist. Mir ist so verdammt elend, ich habe eine Wut, weiß der Teufel wieso. Mir ist, als nehme ich zu, als werde ich dicker. Als ob ich eine Menge in mir aufgestaut hätte, ich weiß nicht was. Ich hätte sogar Lust, Bücher zu lesen.«
»Da kämst du doch ins Zuchthaus?« Sie schaute ihn an, als befände er sich hinter der Glaswand.
Er begann sich anzuziehen, wobei er unruhig im Zimmer umherwanderte. »Ja, und es wäre vielleicht nicht einmal das dümmste. Bevor ich gegen jemand tätlich werde. Hast du gehört, was Beatty gesagt hat? Hast du zugehört? Er weiß Bescheid. Er hat recht. Glücklich sein ist alles. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Und dabei saß ich die ganze Zeit da und sagte mir, ich bin nicht glücklich, ich bin nicht glücklich.«
»Ich schon.« Mildred strahlte. »Bin stolz darauf.«
»Es muß etwas geschehen«, erklärte Montag. »Was, weiß ich noch nicht. Aber es muß etwas Gewaltiges geschehen.«
»Ich habe es satt, mir dieses Zeug anzuhören«, bemerkte Mildred und wandte sich wieder dem Ansager zu.
Montag griff nach dem ›Ein-Aus‹-Schalter an der Wand, und der Ansager verstummte.
»Millie?« Er stockte. »Dies ist dein Haus so gut wie meines. Ich finde es nur recht und billig, daß ich dir jetzt etwas sage. Ich hätte es schon längst tun sollen, aber ich habe es sogar vor mir selber verheimlicht. Es ist etwas da, das du sehen sollst, etwas, das ich im Laufe eines Jahres beiseite
Weitere Kostenlose Bücher