Fahrt zur Hölle
Nein! Eigentlich ist das Gerichtsverfahren gar nicht richtig in Gang gekommen. Die Soldatinnen und Soldaten, die am Horn von Afrika ihren Dienst verrichten, verstehen nicht, wie schwer man sich in der Heimat damit tut, die Entführer vor ein deutsches Gericht zu stellen. Denken Sie an den Prozess in Hamburg. Wir wissen doch, dass es sich um gefährliche kriminelle Akte handelt.«
»Wie wahr«, rief der Reeder dazwischen.
»Die Kritiker der Mission Atalanta bemängeln, dass die gesellschaftlichen Ursachen für die Piraterie unberücksichtigt bleiben und niemand die Not der Täter bedenkt. Die Juristen zweifeln auch daran, dass die Grundrechtseingriffe gegenüber Tatverdächtigen hinreichend gesetzlich legitimiert sind. Und wer denkt an die Opfer?« Der Admiral legte eine Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen.
»Die geplante Ausweitung der Operation auf die Küstengebiete wird von der Berliner Opposition kritisiert«, fuhr an seiner Stelle von Schwinges fort. »Man meint, es sei ein unkalkulierbares Abenteuer, bei dem Unbeteiligte gefährdet werden könnten, während die Piraten ihre Infrastruktur und Logistik einfach weiter ins Landesinnere verlegen.«
»Deshalb hat sich die Regierung zu diesem Schritt entschlossen«, zog Rukcza ein Fazit und sah demonstrativ auf die Uhr. »Ich glaube, es ist alles gesagt.« Er nickte Dr. Starke zu.
»Sie können sich auf mich verlassen«, versicherte der Kriminaldirektor und deutete eine leichte Verbeugung an.
Speichellecker, dachte Lüder verächtlich.
Die Runde stand auf und verließ den Besprechungsraum ohne weitere Verabschiedung. Nein, setzte Lüder seinen Gedanken fort. Dies war nicht seine Welt. Er fühlte sich in Kiel gut aufgehoben. Und nach Kenia … Da sollte jemand anders hinfliegen. Zum Beispiel der »Scheiß-Starke«. Ein Aufenthalt in Ostafrika würde seinem sorgfältig gepflegten Teint sicher guttun und wäre gesünder als das Solarium, von dem er vermutete, dass der Kriminaldirektor es regelmäßig aufsuchte.
Mit Genugtuung registrierte Lüder, wie diese Bräune ein wenig von Blässe überzogen wurde, als sie zum Hubschrauber zurückkehrten. Das änderte sich auch nicht, als sie den Heimflug antraten. Selbst nach der Landung in Kiel schien der Kriminaldirektor noch unter dem Transport zu leiden.
Sie trennten sich auf dem Flur, ohne ein weiteres Wort über den Besuch im Kanzleramt zu verlieren. Auf Dritte würde es unwahrscheinlich wirken, dass man sich nicht über diese ungewöhnliche Konferenz unterhielt. Mit Dr. Starkes Vorgänger, Kriminaldirektor Nathusius, hätte Lüder jetzt das Für und Wider abgewogen, Nathusius’ Analyse gelauscht und dessen Meinung aufgenommen. Aber mit Dr. Starke … Für Lüder war ein Gespräch darüber mit seinem Vorgesetzten undenkbar. Das war der Sache nicht dienlich.
Er räumte seine Sachen zusammen und fuhr nach Hause. In dem älteren Einfamilienhaus im Hedenholz wurde er von Margit erwartet.
»Wo warst du den ganzen Tag?« Ein leiser Vorwurf schwang in ihrer Stimme mit. »Ich habe öfter versucht, dich zu erreichen.«
Lüder nahm sie in den Arm. »Das war ein Tag«, stöhnte er. »Den ganzen Tag über eine Besprechung nach der anderen. Und lauter Wichtigtuer in der Runde. Jeder musste seinen Senf dazugeben. Man kommt zu nichts mehr. Aber jetzt ist Feierabend.«
»Wenn man dir zuhört, könnte man meinen, die Polizei in Schleswig-Holstein kann ohne dich nicht leben.«
Er lachte und drückte sie an sich. »Ich bin so unbedeutend in diesem Apparat, dass selbst der Bürobote mich nicht findet. Mir ist es auch viel wichtiger, dass ihr mich vermisst.«
Sie stupste ihm auf die Nasenspitze. »Manchmal bist ein Dummerle. So. Nun gibt es Abendbrot.«
ZWEI
»Hast du heute auch wieder den ganzen Tag Besprechungen?« Mit diesen Worten hatte ihn Margit am Morgen verabschiedet.
Lüder hatte nicht auf den Unterton reagiert. Er wusste nicht, was der Tag bringen würde. Den Vorschlag, in Afrika zu ermitteln, hielt er für abwegig. Insgesamt schien ihm die ganze Aktion undurchsichtig. Eine Schiffsentführung war ein krimineller Akt, der viel Aufsehen erregte. Dafür eine Krisensitzung im Bundeskanzleramt einzuberufen, schien ihm aber außergewöhnlich. Außerdem war man ausgewichen bei Lüders mehrfach gestellter Frage nach der Ladung. Daher beschloss er, die Reederei in Flensburg aufzusuchen.
Auf der Autobahn ab Rendsburg bemerkte er, dass es ein Freitag im Juli war, an dem wesentlich mehr Verkehr Richtung Norden
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