Fahrt zur Hölle
Ziehen Sie die Datei ab. Ich werde sie auf einem Stick mitnehmen.«
»Aber das ist vertraulich«, warf Ole Jessen ein.
»Wie vertraut mag Gerd Wollenhaupt mit seiner Familie gewesen sein?«, fragte Lüder spitz. »Wen hinterlässt er überhaupt?«
»Das Opfer hat aus seiner geschiedenen Ehe zwei Töchter«, zählte Hauptkommissar Herdejürgens auf. »Die ältere ist verheiratet, hat ein Kind und lebt in Hamburg. Die zweite Tochter studiert in Lübeck. Die geschiedene Frau konnten wir noch nicht erreichen. Wir haben heute Nacht noch mit der Partnerin gesprochen, mit der das Opfer zusammenlebte. Die beiden wohnten in einer gemieteten Wohnung in Fruerlund. Dort war auch der Tatort. Gestern Abend um halb elf hat jemand an der Wohnungstür geklingelt. Wollenhaupt hat geöffnet und wurde ohne jede Vorwarnung mit zwei Schüssen aus nächster Nähe ermordet. Eine Hinrichtung. Seine Partnerin ist mit einem Schock ins Franziskus-Krankenhaus in Flensburg eingewiesen worden. Wir haben sie noch nicht vernehmen können. Der Kollege Petersen«, dabei nickte er in Richtung des wortlos dabeisitzenden Mannes, »bleibt am Ball. Unsere bisherigen Erkenntnisse haben ergeben, dass Wollenhaupt, er war übrigens neunundfünfzig Jahre alt, mit seiner Partnerin ein unauffälliges und zurückgezogenes Leben geführt hat.«
»Wie lange war Herr Wollenhaupt bei Ihnen beschäftigt?« Lüder sah die drei Reedereivertreter an.
»Er war schon hier, als wir noch Kinder waren«, übernahm Ole Jessen die Antwort. »Gerd Wollenhaupt war über fünfunddreißig Jahre bei uns.«
»Gab es jemals Hinweise auf Unregelmäßigkeiten? Hatte das Opfer private Probleme, zum Beispiel finanzieller Art?«
»Das ist uns nicht bekannt. Gut, eine Tochter in der Ausbildung. Die hat er unterstützt. Gerd hatte sein Wohnmobil. Damit sind er und seine Partnerin herumgefahren. Alles im überschaubaren Rahmen. Er hat geraucht, gelegentlich ein Glas getrunken. Aber alles in Maßen. Nein.« Ole Jessen schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gerd Wollenhaupt in kriminelle Kreise geraten ist.«
»Kann es sein, dass er etwas entdeckt hat in Zusammenhang mit der Fracht, die die ›Holstenexpress‹ geladen hat?«, fragte Lüder.
Die Reedereivertreter sahen sich an. »Davon wissen wir nichts. Uns gegenüber hat er nichts verlauten lassen«, antwortete Nils Jessen.
»Dem ersten Anschein nach«, bestätigte Herdejürgens, »liegt die Vermutung nahe, dass das Motiv nicht im persönlichen Bereich des Opfers zu suchen ist.«
Das vermutete Lüder auch.
»Liegt inzwischen eine Forderung der Entführer vor?«, wechselte Lüder das Thema.
Die beiden Brüder schüttelten im Gleichklang den Kopf. »Noch hat sich niemand gemeldet.«
»Wir wissen ohnehin nicht«, ergänzte Nils Jessen, »wie wir die Forderungen der Kidnapper erfüllen sollen. Es ist uns nicht möglich, so viel Geld bereitzustellen. Uns gewährt auch niemand einen Kredit in dieser Größenordnung ohne Sicherheiten. Ich weiß nicht, wie wir damit umgehen sollen. Schicken Sie Einsatzkräfte los … Bundeswehr – Grenzschutz – was weiß ich. Stürmen Sie das Schiff. Aber tun Sie endlich etwas.«
»Sie waren gestern in Berlin anwesend«, sagte Lüder, der Verständnis für die Situation der Reeder aufbringen konnte. »Es ist schwierig, eine Ad-hoc-Lösung zu finden, ohne dabei die Geiseln zu gefährden.«
»Glauben Sie, die sind besser dran«, unterstützte Ole Jessen seinen Bruder, »wenn Sie die Leute den Entführern überlassen?«
Nils Jessen verbarg seinen Kopf in den Handflächen, nachdem er die Ellenbogen auf der Tischplatte aufgestützt hatte.
»Mein Gott, unser Schiff«, jammerte er.
»Wird schon«, sagte sein Bruder und umfasste den Unterarm des Reeders. Es sollte ein Trost sein. Zuversichtlich klang es nicht.
»Es hängt wirklich viel davon ab«, bestätigte Jens Iversen. »Das Vertrauen in unsere Reedereien und die Sicherheit im Welthandel, das Wohl der Besatzung, aber auch die Existenz dieser Traditionsreederei und der Menschen, die von ihr abhängig sind. Auch meine Zukunft«, fügte er kaum hörbar hinzu.
»Ich versichere Ihnen, dass alle Verantwortlichen ihr Bestes geben, um die Situation zu klären. Die Ermittlungen im Mordfall Wollenhaupt liegen bei Herrn Herdejürgens in den besten Händen. Ich möchte jetzt einen Blick auf die Unterlagen zur Ladung werfen.«
»Kommen Sie«, forderte Iversen Lüder auf und führte ihn durch das Spalier der Mitarbeiter in sein Büro.
Der
Weitere Kostenlose Bücher