Fahrt zur Hölle
große Reedereien nicht so flexibel sind. Die haben ein anderes Controlling. Da läuft es nicht mit der Verschwiegenheit.« Nils Jessen klang immer noch atemlos.
»Und trotzdem ist Ihnen Gerd Wollenhaupt auf die Schliche gekommen?«
»Der … Warum musste er auch in Indien hinter den Auftraggebern hinterherspüren? Hätte er seine Arbeit gemacht, wäre nichts passiert.«
»Hat er Sie erpresst?«
»Erpresst? Ach. Der war doch grundehrlich. Der wollte es an die große Glocke hängen, was dort gelaufen ist.«
»Und daraufhin haben Sie ihn erschossen?«, fragte Lüder.
Nils Jessen zitterte wie Espenlaub. »Das wollte ich nicht, aber Wollenhaupt hatte herausgefunden, dass es keine Piraten waren, die die ›Holstenexpress‹ in ihre Gewalt gebracht hatten. Da wäre doch alles geplatzt. Und nicht nur bei uns.«
Ole Jessen spie vor die Füße seines Bruders aus. »Du elendiges Schwein hast den alten Wollenhaupt erschossen?«
»Mensch, Ole. Das wollte ich doch nicht. Ich bin doch kein Mörder.« Nils Jessens Stimme klang flehentlich.
»Wessen Idee war es, die Fahrt des Schiffes durch den fingierten Überfall zu stoppen?«, wollte Lüder wissen.
»Mein Bruder hatte plötzlich angeordnet, Dschidda anzulaufen. Das wäre doch eine Katastrophe geworden. Nicht umsonst hatten die Israelis einen Bewacher mitgeschickt. Wir sind noch nie in Dschidda gewesen.«
»Du hast mir immer vorgeworfen, ich würde mich nicht um das Geschäft kümmern«, schimpfte Ole Jessen. »Nun habe ich eine neue Verbindung zu den Saudis geschaffen und dem Kapitän die Anweisung erteilt, Dschidda anzulaufen. Und dann?«
»Sie haben es Kapitän Syrjanow nicht direkt gesagt?«, fragte Lüder dazwischen.
»Nein. Ich habe es Iversen gesagt. Der hat den Kapitän informiert.«
»Wie sind Sie an den saudischen Kontakt gekommen?«, fragte Lüder.
Ole Jessen drehte sich nicht um. »Mich hat einer angerufen«, sagte er über die Schulter.
»Anonym?«
Lüder sah von hinten, wie Ole Jessen mit dem Kopf nickte. Jemand wollte das Geschäft mit den Israelis torpedieren. Ob die Waffenlobby dahintersteckte, die am Geschäft mit den Arabern interessiert war?
Lüder hatte es vermutet. Jetzt hatte er die Bestätigung erhalten. Einer der beiden Brüder musste vom Waffendeal gewusst haben. Und damit auch, dass die »Holstenexpress« unter keinen Umständen einen arabischen Hafen anlaufen durfte. Da Ole Jessen das Schiff nach Dschidda beordern wollte, musste Nils der Kontaktmann sein. Lüder erinnerte sich auch an das Gespräch im Kanzleramt. Nils Jessen war sehr erschrocken, als Staatssekretär Graupenschlager sagte, sie sollten erst einmal die Forderung der Piraten abwarten. Der Bayer hatte wörtlich erklärt: »Nun warten Sie erst einmal ab, was die Entführer überhaupt verlangen.«
Lüder hatte gesehen, wie deutlich ein Erschrecken das Antlitz Jessens beherrschte. Dann hatte der Reeder geschluckt. »Was sollen die wollen?«, hatte er gestammelt. »Natürlich Geld. Viele Millionen, die wir nicht haben.«
»Nils. Damals, in Berlin«, wandte sich Lüder an Nils Jessen, »haben Sie da geglaubt, die ›Holstenexpress‹ wäre wirklich entführt worden?«
Jessen schluckte. »Ja«, gestand er. »Nachdem die Sache mit Dschidda akut war, hatte ich in Berlin angerufen und davon berichtet. Man beruhigte mich. Die Sache wird erledigt. Ich sollte nur in Flensburg für Ruhe sorgen. Sonst würde man mir alles anlasten. Deshalb doch die Sache mit Wollenhaupt«, sagte er weinerlich.
»Mit wem haben Sie in Berlin gesprochen?«
»Mit Sylvester Graupenschlager aus dem Wirtschaftsministerium. Der hat doch alles eingefädelt.«
»Den Transport von Indien mit Ihren Schiffen?«
Nils Jessen nickte heftig. »In dessen Auftrag wurden die Waffen über Indien geliefert. Das war er der Rüstungsindustrie in seinem Wahlkreis schuldig. Was meinen Sie, warum er bei der letzten Wahl fast siebzig Prozent erzielt hat? Seinen Wahlkampf und die Wohltaten hat die Waffenlobby finanziert.«
»Also Graupenschlager«, sagte Lüder nachdenklich.
»Der hat doch auch die Verbindungen nach Afrika und Asien. Der ist im Wirtschaftsministerium für den Außenhandel zuständig. Was meinen Sie, wo der überall seine Finger drin hat.«
»Er hat gute Kontakte dorthin?«, fragte Lüder.
»Gute? Exzellente. Man nennt ihn nicht umsonst mit großem Respekt Abu Talha – den Deutschen.«
Lüder erstarrte. War das die Lösung? Hatte man den so gemütlich wirkenden Bayern gemeint, als man in Somalia von Abu
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