Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fahrt zur Hölle

Fahrt zur Hölle

Titel: Fahrt zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
Vom Netzwerk:
Talha sprach?
    »Wissen Sie, ob Graupenschlager Kontakt zur provisorischen Regierung von Puntland hat?«
    »Natürlich. Denen hat er sonst was versprochen, damit die unser Schiff an die Kette legen.«
    Das erklärte, weshalb Galaydh in Somalia der Überzeugung war, Lüders wahre Identität sei schon aufgedeckt.
    »Wer hat die amerikanische Sicherheitsfirma losgeschickt, die uns ermorden sollte?«, fragte Lüder und dachte an den Überfall auf das Gefangenenlager.
    Jetzt verstand er auch, weshalb die somalischen Bewacher Lüder und die anderen Geiseln verteidigt hatten. Es war nicht im Interesse der Puntländer, Tote zu hinterlassen. Das hätte man gegenüber Berlin nicht rechtfertigen können. Dafür hätte die Bundesrepublik sich nicht erkenntlich gezeigt.
    »Ich weiß es nicht. Vermutlich Graupenschlager. Wie gesagt. Der hat überall seine Kontakte«, erklärte Nils Jessen. »Jedenfalls herrschte in Berlin Panik, als man merkte, wie Sie mit Ihren Ermittlungen vorankamen. Das hatte man sich so nicht vorgestellt.«
    Und darum sollten wir sterben, dachte Lüder bitter. Es war unfassbar, dass ein korrupter Staatssekretär auch den Tod von Menschen in Kauf nahm, nur um seine dunklen Geschäfte nicht öffentlich werden zu lassen.
    »Auf was hast du dich da nur eingelassen«, schrie Ole Jessen.
    Lüder sah die Entschlossenheit in Ole Jessens Augen. Nichts und niemand würde ihn davon abhalten können, seinen Bruder zu erschießen. Das Flackern der Augenlider, der stiere Blick … Ole Jessen war nicht mehr ansprechbar. Er krümmte den Zeigefinger.
    »Ole«, jammerte Nils. »Du wirst mich doch nicht töten? Ich bin dein Bruder. Wir haben dieselben Eltern. Ole!«
    Es war ein Jammern und Heulen, das aus Nils’ Mund drang. Das Gesicht war schweißüberströmt und zu einer Fratze verzerrt. Aus beiden Mundwinkeln tropften Speichelfäden. Er streckte die Hand aus, als könne er damit das ihm geltende tödliche Geschoss abwehren. Entsetzen stand in seinen Augen.
    »Nicht«, versuchte Lüder Ole Jessen zu bewegen, die Waffe fallen zu lassen. »Es ist schlimm, was Ihr Bruder gemacht hat. Aber das rechtfertigt keinen Mord. Sie sind nicht Kain.«
    »Du hast alles zerstört, was unsere Familie seit Generationen aufgebaut hat, du hast die Zukunft vernichtet. Jetzt werde ich dich vernichten. Wir haben keine Zukunft mehr. Du nicht. Ich nicht.«
    »Das ist nicht richtig«, warf Lüder ein. »Lassen Sie andere über sich richten. Es gibt eine Gerechtigkeit auf der Welt. Und eine überirdische Gerechtigkeit.«
    »Es gibt nur eine Gerechtigkeit, nur eine Strafe. Das ist der Tod.«
    Lüder hatte sich den beiden weiter genähert. Er stand jetzt fast zwischen ihnen. Bittend streckte er Ole die Hand entgegen.
    »Geben Sie mir die Waffe. Überantworten Sie Ihren Bruder unserem Rechtssystem. Niemand darf sich zum Richter über den anderen aufschwingen.«
    Ole leckte sich mit der Zunge über die Lippen. Lüder hatte den Eindruck, dass er seine Worte gar nicht wahrnahm. Er war wie im Rausch, nur noch von dem Gedanken beseelt zu töten.
    Lüder sah auf die Hand, die den Pistolenknauf umklammert hielt. Sie zitterte leicht. Vielleicht würde es ihm gelingen, Ole die Waffe aus der Hand zu schlagen. Die Distanz betrug etwa drei Meter. Die zu überwinden würde so viel Zeit kosten, dass Ole, dessen Zeigefinger den Druckpunkt erreicht hatte, nur abzudrücken brauchte. Im Reflex der Überraschung könnte er dabei die Waffe auch auf Lüder richten. Sollte Lüder sein Leben für Nils Jessen riskieren?
    Vor seinem inneren Auge lief in einem Sekundenbruchteil ein Film ab: Das dreckige Verlies am Horn von Afrika, der philippinische Matrose Bayani mit dem zerschossenen Gesicht, der vierzehnjährige Seyam, der im schmutzigen Sand in Hafun verblutet war, Gerd Wollenhaupt, der nicht weit entfernt von hier an seiner Haustür ermordet wurde … Nein! Für Nils Jessen würde er sich nicht opfern.
    »Ole. Üben Sie Einsicht. Folgen Sie dem christlichen Gebot der Gnade.«
    »Gnade?« Ole Jessen spie aus. »Mit dem da? Hat der Mitleid gehabt? Es ist ja einfach, Menschenleben zu vernichten, wenn man ihnen nicht in die Augen sehen muss. Töten vom fernen Schreibtisch aus.«
    »Ihr Bruder hat Schreckliches angerichtet, viel Unrecht begangen. Die Spirale der Gewalt hat sich immer schneller gedreht und ihn in ihrem Sog mitgerissen. Dafür wird er bestraft werden. Aber nicht durch Ihre Hand.«
    Ganz langsam senkte Ole Jessen den Lauf der Pistole hinab, nur wenige Millimeter.

Weitere Kostenlose Bücher