Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
genug.
Gegen Mitternacht löste sich die Runde am Kamin auf, nur die neue Maske blieb mit starren Blicken neben einer alten Ausgabe der Bunten liegen, auf der Lothar Matthäus mit einer Frau namens Lolita zu sehen war, beide erklärten den Lesern, wie man seine Ehe retten könne.
Am nächsten Morgen war es noch heißer als an den Tagen zuvor: Die Hitze quoll durch die zugezogenen Fensterläden in den Raum, Tomiko lag mit geschlossenen Augen im Bett, und hinter ihren Lidern blitzten ein paar Bilder auf, die Maske, der Sonnenbrand auf ihren Schultern, Christian Minderbergs behaarter Bauch, Jana beim Muschelnsammeln, Percys aufgeregtes Gesicht, der Schadenszauber. Das Aufwachen bestand darin, diese Bilder zu sortieren und ihnen einen Sinn zu geben.
Sie stieg aus dem Bett und ging die Treppe zur Küche hinunter. Auf der Veranda roch es nach Sonnenöl und warmem Holz. Minderberg stand mit einer Harke auf der Düne und starrte angestrengt in den Sand. Er hatte seinen Autoschlüssel verloren, jedenfalls glaubte er das, und harkte schon seit zwei Stunden den Strand um. Er schwitzte und hatte einen Sonnenbrand auf dem nackten Oberkörper, und auf seinem Hemd, das er um die Hüfte gebunden hatte, bildete sich ein dunkler Schweißrand. Die französischen Surfer schauten ihm aus einiger Entfernung zu; sie schienen sich zu fragen, ob die Deutschen immer erst den Sand durchharkten, bevor sie ihn betraten.
Ein gründliches, seltsames Volk.
Der Reserveschlüssel des Autos lag im Handschuhfach. Percy hatte Minderberg geraten, die Heckscheibe einzuschlagen, aber dann wäre die Wegfahrsperre ausgelöst worden, und die Diebstahlsicherung hätte automatisch die Benzinzufuhr abgeschaltet. Sollte er den Schlüssel nicht finden, würde ein Mechaniker von Audi aus Bordeaux kommenmüssen, der zuvor jedoch einen Kode aus Ingolstadt brauchte, wo sie am Wochenende aber nicht arbeiteten. Also ließen sie den Wagen stehen.
Tomiko reinigte die Scheiben des Mercedes mit einem Eimer Wasser, der jetzt halbleer im Sand stand, von Salz und Insekten und fuhr mit Jana los, um irgendwo einen Metalldetektor aufzutreiben.
Minderberg betrat die Küche und machte sich einen Tee. Auf dem Tisch lag die Maske und starrte aus dem Fenster. Minderberg schob sie beiseite und stellte seine Teetasse ab, blieb aber mit dem Finger am Henkel hängen; die Tasse kippte um, der Tee verbrühte ihm die Hand. Er schrie auf und versetzte der Maske einen Schlag. Percy kam die Treppe herunter und schaute sich die Hand an.
»Sie müssen sie unter kaltes Wasser halten«, sagte er. »Dann gebe ich Ihnen etwas Wundsalbe.«
Als Tomiko und Jana nachmittags mit dem Gerät zurückkamen, war immer noch Ebbe. Der Sand war fest und kühl und die Luft salzig. Die Flut hatte alle Fußspuren glattgewaschen, nur ein paar Muscheln lagen feucht und schimmernd im Licht. Tomiko nahm eines der Surfbretter und ging zur Mündung des kleinen Flusses, der sich durch den Pinienhain zum Meer wand. Die Schatten der Möwen rasten über den Strand, das Meer leuchtete grün, und im Dunst verschwammen die Konturen der Küste. Tomiko lief ein Stück die Düne hinauf, um zu sehen, wo die Wellen sich brachen. Dort oben war der Sand wärmer, grauer und schmutziger; dort sammelte sich das Treibgut, das die Winterstürme angespült hatten, verrostete Farbdosen, Puppen ohne Arme und Köpfe, verbranntes Holz und ein Brett, das einmal zu einer Kiste gehört haben musste; auf dem salzzerfressenen Holz schimmerten die Buchstaben alva-or .
Um diese Zeit war kaum jemand am Strand, nur ein paar Angler saßen auf ihren Eimern und starrten aufs Wasser; die gespannten Nylonfäden glänzten in der Sonne.
Tomiko war dabei, das Surfbrett nachzuwachsen, als sie unten am Ufersaum eine Gruppe zusammenlaufen sah, die sich um etwas Dunkles versammelte.
Es war ein Fisch, der mit offenem Maul im seichten Wasser lag. Die kleinen Wellen, die ihn überspülten, ließen den langen, silbern glänzenden Leib leicht zucken. Am Bauch schimmerte er bläulich, Reißzähne ragten aus dem Maul, und der Kopf war übersät mit bizarren Antennen, die an militärisches Gerät erinnerten und eine Ahnung davon gaben, wie es in den ungeheuerlichen Tiefen zuging, aus denen dieses Monster emporgeschleudert worden war. Niemand traute sich, es anzufassen, nur ein Langhaardackel sprang um das havarierte Tier herum, wedelte hektisch mit dem Schwanz und bellte in das rot glühende, feuchte Maul hinein, in dem er bequem
Weitere Kostenlose Bücher