Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
braungebrannten Körpern ihrer Gastgeber hatten sie sich wie Nacktmullen bewegt, die aus ihrem Erdloch ans Licht gezerrt worden waren. Jetzt hatten sie mehrere Tage in der Sonne verbracht und waren in der roten Phase angekommen; Christian, dessen helle Haut empfindlicher war als Janas, hatte einen furchtbaren Sonnenbrand.
Tomiko wanderte langsam wie eine Ballerina auf einem Schwebebalken auf sie zu, stellte sich mit dem Rücken zu ihnen und schaute aufs Meer. Dann drehte sie sich um und sah Jana an, ohne etwas zu sagen und ohne eine Geste, die der Situation die Spannung genommen hätte.
»Na, heute ist Nudistentag, was«, rief Christian etwas zu laut und blinzelte ins Gegenlicht. Er wand sich auf seinem Handtuch.
Tomikos Busen leuchtete hell, es sah aus, als trüge sie einen weißen Bikini.
»Stört es dich, wenn ich hier nackt herumlaufe?«, fragte sie.
»Nein«, sagte er und versuchte, auf eine unverfängliche Stelle ihres Körpers zu schauen. Sie hatte eine Gänsehaut, auf der das getrocknete Salz rätselhafte Mäander bildete, die dort, wo normalerweise der Bikini saß, mit dem Weiß der Haut verschmolzen. Über der linken Brust hatte sie zwei kleine Leberflecke, die ihn wie Augen anschauten. Sie war außer Atem; er konnte ihr Herz aus einer Distanz von zwei Metern unter der Gänsehaut schlagen sehen.
Minderberg sah hinter der Düne einen splitternackten, dicken Mann auftauchen. Es war der deutsche Zahnarzt, der in einem der Nachbarhäuser wohnte. Sie hatten ihn ein paarmal in der Strandbar getroffen.
»Christian Minderberg! Mein neuer Freund!«, brüllte der Zahnarzt und schwankte durch den weichen Sand auf ihn zu. »Sie müssen keine Angst vor mir haben – ich hab keinen Bohrer mit – ich bin unbewaffnet! Hahaha!«
Er hob die Hände in die Luft und sah sich um, ob sein Scherz ankam. »Feine Gegend, was? Feines Wetter! Alles gut? So lässt sich’s leben! Kommen Sie nachher mal auf einen Drink rüber, wir wohnen gleich hinter der Düne, das alte Holzhaus. Meine Frau wird sich freuen, die Franzosen gehen ihr nämlich mächtig auf die Nerven!«
Tomiko kreuzte die Arme so, dass ihre Brust kunstvoll von ihren dünnen Unterarmen bedeckt wurde, und sah dem Zahnarzt hinterher, der sich in Richtung Strandbar entfernte. Die Sonne brannte jetzt so unbarmherzig vom Himmel, dass Minderberg der Schweiß in die Augen lief, für einen Moment war er vollkommen blind. In der Hitze war fast niemand mehr am Strand, nur ein paar krebsrote Engländer lagen wie Koteletts direkt neben einer Strandmülltonne.
Minderberg stakte über die Düne zum Haus. Der Sand war so heiß, dass er nur mit Schuhen über die Düne laufen konnte oder dort, wodie kurzen Schatten der Dächer auf den Sand fielen und die Düne sich blau färbte. Im Haus war es kühl; ein leicht modriger Geruch hing in der Eingangshalle über den alten Möbeln. Die Spiegel waren in den langen Sommern, in denen die salzige Luft durch die Fenster drang, fast vollkommen blind geworden.
An der Wand, über einer wurmstichigen Truhe, hing ein altes Gemälde. Es stellte einen nordischen Strand dar, über den ein paar Mädchen in langen weißen Kleidern flanierten; die Szene musste, der Mode nach, um 1900 spielen. Das Gemälde war vom Salz angefressen und in Teilen zerstört; die Farbe blätterte ab, ein halber Kopf fehlte, ein Bein war zerbröselt, das Salz hatte aus dem Strandidyll eine Invalidenveranstaltung gemacht. Im Nebenraum, der noch dunkler war als die Halle, hingen ein paar wertlose Kunstdrucke und ausgeblichene Werbeplakate.
Minderberg griff nach seinem Mobiltelefon und prüfte, ob er Netz hatte, aber wie so oft war keine Verbindung zu bekommen. Er schaute missmutig auf die Stiche im Flur. Der alte Sack ging ihm auf die Nerven mit seiner Bildungsnummer und dem mystischen Unfug. Es wäre vielleicht tatsächlich das Beste, wenn er auf einen Drink zu dem Zahnarzt ginge.
Jana war verschwunden. Am Strand lag sie nicht mehr. Er suchte sie auf dem Zimmer, rief ihren Namen in die Dunkelheit des Wohnraums hinein, blinzelte ins Gegenlicht, aber sie war nicht zu finden.
Weil es noch zu früh war, um dem Arzt einen Besuch abzustatten, ging er ins Strandcafé am Ende der Dünenstraße und schaute den Wellenreitern zu. Kurze Zeit später tauchte Yutaka auf, der erstaunt war, ihn hier sitzen zu sehen. Minderberg bestellte ein Bier, dann, plötzlich, riss er sich die Pilotenbrille von der Nase und fragte Yutaka, ob seine Schwester eigentlich einen
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