Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
Vom Netzwerk:
Nu à Contre-Jour , das ein dunkles Pariser Appartement an einem heißen Sommermorgen zeigte. Das Fenster – vielleicht war es auch einSpiegel – gab den Blick auf die Stadt frei. Davor stand eine nackte Frau, die Tomiko verblüffend ähnlich sah, zumal man ihre vom Gegenlicht verhüllten Gesichtszüge nicht erkennen konnte. Tomiko und Yutaka standen lange vor dem Bild. Danach ließen sie die Minderbergs, die aufmerksam die Schilder unter den Bildern studierten und sich die Titel der Werke einprägten, mit ihrem Vater im Museum zurück und gingen hinaus auf die Straße. Dort war die Hitze noch drückender geworden. Tomikos Schultern waren bei der Fahrt verbrannt und glühten rot. In einem Antiquitätengeschäft kaufte sie für ihren Vater eine alte Maske, deren matte Düsterkeit ihr gefiel.
     
    Als sie ans Meer zurückkamen, hatte sich der Himmel bezogen. Es war windstill, und sie konnten die Geräusche der letzten Fischlaster hören, die den Hafen verließen und hinter dem Leuchtturm verschwanden. Wenig später setzte ein feiner Landregen ein, der stundenlang nicht mehr aufhörte.
    Tomiko legte die Maske in der Bibliothek auf einen der alten Korbstühle, die viel zu klein für einen Erwachsenen waren – vielleicht waren es Gebetsstühle aus einer alten Kapelle. Überhaupt sah das Haus aus, als habe man es aus einer zerlegten Kirche zusammengeschraubt: In der Halle, neben dem Kamin, hing ein fast lebensgroßer wurmstichiger Holzchristus, wie man ihn manchmal noch in alten spanischen Kapellen fand. Einmal, als sie am Kamin saßen, hatte Yutaka die Figur mit dem Fuß berührt und war zurückgeschreckt – die Hitze des offenen Feuers hatte das Holz erwärmt, so dass es sich auf eine gespenstische Art und Weise lebendig anfühlte. Danach hatten sie überlegt, die Figur an einen anderen Ort zu hängen; der Versuch, sie aus der Verankerung zu lösen, war allerdings gescheitert. (Bei dieser Gelegenheit stellten sie fest, dass derjenige, der die Figur an der Wand angebracht hatte, die beiden großen Stahlnägel durch die Arme der Figur in die Mauer getrieben hatte; seitdem machten sie einen Bogen um das Ding.)
     
    Am Abend kam Percy aufgeregt aus der Bibliothek. Er hielt die Maske in der Hand, die ihm Tomiko gekauft hatte, und zerrte ein altes, graues Nachschlagewerk unter einem Stapel Papiere hervor.
    »Kongo«, flüsterte er aufgeregt, »eine Mbiaji-Maske, wurde um 1900 im Auftrag des Königs Wangadjuna hergestellt, durfte nur vom Herrscher und den Traditionswächtern gesehen werden. Die Maske wurde bei schwerwiegenden Tabuverstößen und gegen Feinde verwendet, um sie mit einem Fluch zu belegen. Diese Masken werden immer noch benutzt dort unten. Ein Glücksfund«, rief er; er hätte zu gern gewusst, wie so etwas in die Stadt gekommen sei.
    Christian Minderberg starrte auf das hölzerne Ding, das auf dem Tisch lag und ihn aus leeren Augen fixierte. Er glaubte nicht an solche Sachen, aber er empfand die Anwesenheit der Maske auch nicht als beruhigend – vor allem, wenn er sich den Effekt ausmalte, den das Ding auf seine Frau ausüben würde. Er hatte zu viel getrunken; das hohläugige Gesicht schien sich zu drehen, aber das konnte nur an dem verdammten Armagnac liegen. Außerdem hatte er zu viele Bratwürste gegessen; sein Magen rumorte; er musste eine Tablette nehmen.
    »Sie könnte, wenn sie kleiner wäre«, sagte Percy, der immer noch mit der Lupe um die Maske herumschlich, »auch zu einem Kraftstuhl gehört haben. Man erzählt, dass Gongwe solche Hocker benutzte, um mit den Kräften der Nacht in Verbindung zu treten. Gongwe soll ihren Mann vergiftet haben und Schadenszauber gegen viele junge und treue Männer ausgeübt haben.«
    »Das ist ein altes Holzding, nichts weiter«, sagte Minderberg heiser. »Ich gehe ins Bett.« Als er aufstehen wollte, verlor er das Gleichgewicht, stolperte und griff nach dem Kaminsims. Eine weiße, unförmige Kalksteinfigur schwankte ihm entgegen.
    »Vorsicht, das ist eine Iniet-Figur«, sagte Percy sachlich. »Bitte nicht runterwerfen. Wer weiß, was dann passiert. Sie war Teil einer Zeremonie, die die Eingeweihten des Iniet-Geheimbunds an den Maravots von Papua-Neuguinea vollzogen. Die Kolonialherren haben diese Geheimbünde ausgerottet, ich vermute, sie hatten Gründe für ihre Angst.«
    Minderberg starrte wieder auf das Ding aus dem Kongo, das vor seinen Augen verschwamm, und für einen kurzen Moment schien es ihm, als hätte die Maske ihm zugezwinkert; er hatte jetzt wirklich

Weitere Kostenlose Bücher