Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
hätte verschwinden können. Tomiko trat an das Wesen heran wie an einen Verletzten bei einem Verkehrsunfall, kniete sich halb hin, berührte den Fisch vorsichtig und erklärte fachmännisch, er sei tot. Ein Dicker in engen Badehosen fuchtelte aufgeregt mit den Armen. Er beugte sich über das Tier und schnaufte, es wiege mindestens fünfzig Kilo; die Herumstehenden erschauderten.
Minderberg stand auf der Terrasse und versuchte, mit der linken Hand eine Wurst auf dem Grill zu wenden. Seine rechte Hand war in einen Verband eingewickelt, dessen Rand sich gelblich verfärbt hatte. Er legte die Merguez neben die Doraden und die Sardinen und goss Weißwein über die Glut. Zwei Wespen arbeiteten sich am porösen Holz der Gartenmöbel ab. Tomiko lehnte an einem Holzpfahl und schaute Minderberg zu. Ihr Gesicht war von einer überdimensionierten Sonnenbrille verdeckt. Sie kam vom Strand und hatte sich ein Tuch um die Hüfte gebunden; der Sand, der an ihrem Rücken klebte, zeichnete sich hell auf ihrer Haut ab. Yutaka saß mit einem überdimensionierten Strohhut, wie ihn sonst nur die alten Damen im Casino von Biarritz trugen, am Teakholztisch und kratzte mit dem Fingernagel an einem Rotweinfleck; dann stand er auf und legte Christian eine Hand auf den Rücken.
»Die Dorade verbrennt gleich.«
»Keine Sorge, ich habe alles im Griff.«
Christian drehte die Dorade auf die andere Seite und schaute mit zusammengekniffenen Augen aufs Meer. Er beklagte sich über den Wellengang, das Rauschen sei nachts unerträglich, und als Segler sei ihm sowieso das Mittelmeer lieber.
Jana fehlte beim Essen. Sie saß am Kamin, trank Tee und erklärte, sie habe eine Magenverstimmung. Percy setzte sich zu ihr und machte ihr Komplimente für ihr Kleid und lud sie ein, mit ihm auf einen Digestif in die Bar am Strand zu gehen. Unten am Wasser schlugen ein paar Kinder mit Stöcken auf den Fischkadaver ein, der jetzt ganz auf dem Trockenen lag, und bewarfen ihn mit Sand.
Die Sonne versank unerwartet schnell hinter den aufziehenden Abendwolken. Als Percy später am Abend den Grill reinigte, sah er im einsetzenden Zwielicht zwei Silhouetten; vielleicht waren es Jana und Yutaka, vielleicht waren es aber auch Tomiko und Christian, aus der Entfernung konnte er es nicht erkennen.
Die Hitze hielt an, aber der Wind wurde stärker. Hinter den Sandbänken bildeten sich weite, breit auslaufende Wellen, und der Sand wehte über den Mercedes und bedeckte den Chrom mit einem feinen Film. Tomiko ging in die Küche und briet sich ein paar Eier, die sie im Stehen aus der Pfanne aß. Dann nahm sie den Wagen und fuhr über die schmale Straße durch den Pinienwald bis zum nächsten Dorf und kaufte Zeitungen.
Als sie zurückkam, waren die anderen verschwunden. Sie ging in die kühle Halle des Hauses und setzte sich in einen Ledersessel. Die Zeitungen berichteten über Auseinandersetzungen in der sozialistischen Partei und über den Auftritt eines Toreros namens Padilla, der, was der Autor des Artikels beanstandete, wie ein Kastagnettentänzer in einem rosafarbenen, orange schimmernden und silbern besetzten Kostüm vor dem verletzten Stier herumhüpfe, aber von den Basken wie ein Gott verehrt werde.
Gegen Mittag, als der Wind nachließ, wurde die Hitze auf der Düne unerträglich. Tomiko holte das Brett aus der Garage und ging hinunter zum Strand. Der Swell war größer als sonst, die Wellen brachen sich mit einem dumpfen Donner draußen vor der zweiten Sandbank. Yutaka war schon dort; er lag hinter der zweiten Sandbank im Lineup. Tomiko paddelte zu ihm. Sie hörte die Wellen und spürte den Sog der Strömung, dann paddelte sie mit ein paar kräftigen Zügen bis zur Sandbank. Das Wasser dort war kühl und frisch, und die Strömung war stark. Sie war jetzt fast bei den Wellen; kein anderes Geräusch drang mehr zu ihr, nicht das Schreien der Möwen und nicht die Dieselmotoren der Fischkutter, die weit draußen in der Dünung lagen.
Yutaka trieb etwa zehn Meter vor ihr auf seinem Board. Er bugsierte das Brett in die richtige Position und erwischte eine klare, kräftige Welle. Als er aus dem Wasser kam, sah er die Silhouette von Tomiko. Sie musste ihn irgendwie überholt haben; sie saß mit huldvoll verschränkten Beinen neben ihrem Board. Sie war nackt.
Christian und Jana Minderberg lagen ein paar Meter entfernt von ihnen im Sand. Als sie vor einer Woche angekommen waren, war ihre Haut weiß und an einigen Stellen bläulich gewesen; zwischen den
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