Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
und sie paddelten bis hinter die zweite Sandbank, wo sich die Wellen brachen.
Es gab Mulden am Strand, in denen man die Tage verbringen konnte, ohne dass einen ein Mensch sah. Sie badeten nackt, aber Yutaka war das Wasser meistens zu kalt, er saß lieber in der Mulde, las etwas und wartete, dass Tomiko neben ihm in den Sand fiel und auf dem Bauch liegen blieb, bis die Sonne ihre Haut getrocknet hatte.
Die Minderbergs gingen immer nur so weit ins Wasser, dass sie beide noch stehen konnten. Sie schwammen nicht oder nur wenige Züge, dann testeten sie wieder mit einem Fuß, ob sie den Grund noch berühren konnten. Meistens standen sie ruhig und schwer wie belgische Pferde nebeneinander, ohne etwas zu sagen, und wenn eine Welle kam, sprangen sie synchron in die Höhe und reckten den Hals in die Luft, um möglichst kein Wasser ins Gesicht zu bekommen, und nur wenn es nicht anders ging, tauchten sie unter einer Welle durch. Jana Minderbergs Haar war fein und hell, und im Salzwasser, unter der heißen Sonne, wurde es schnell weißblond, während Christian Minderberg mit schmerzhaften Sonnenbränden kämpfte. Aus der Ferne waren sie, vor allem wenn Jana die Haare über ihrem muskulösen Nacken zusammengeknotet hatte, kaum zu unterscheiden.
Am frühen Abend, wenn die Hitze nachließ, zogen sie große, weiße Turnschuhe an und gingen eine halbe Stunde joggen; danach kamen sie mit roten Köpfen wieder und verschwanden unter der Dusche, aus der man von Zeit zu Zeit ein schrilles Kichern vernahm, das man den beiden, wenn man sie sah, nicht zugetraut hätte.
Percy fuhr jeden Tag zum Hafen und kaufte Fisch, den die Händler in blauen Plastikkisten auf Eis auslegten; wenn die Sonne sank, warf er den Grill an, bestrich die Sardinen und die Doraden mit Öl und Kräutern und legte sie über die Glut auf den schwarzgebrannten Metallrost. Minderberg, der keinen Fisch mochte, legte sich ein paar bleiche Würstchen dazu.
Während des Essens ging die Sonne unter; für einen Moment begannen die Gläser rot zu schimmern, und das Meer wurde ruhig und glänzte mattweiß; dann wurde der Sand unter den Füßen kalt, und vom Meer wehte ein stärker werdender Nachtwind über die Düne.
Meistens zogen sie sich nach dem Essen ins Haus zurück und tranken Armagnac; Percy dozierte, während das salzige Treibholz im Kamin bunte Flammen aufzischen ließ, über Luca Signorelli und Junichiro Tanizaki und erzählte von seinen Reisen nach Afrika. Obwohl er nicht abergläubisch war, liebte er unheimliche Geschichten überSchadenszauber und schwarze Magie und berichtete von Masken, deren böser Blick die traf, die ihnen in die toten Augen schauten. Gern erzählte er von einer Frau, die ihm jede Nacht in seinem Zelt in der Masai Mara erschienen war und ihn schweigend angestarrt hatte – er habe sie dem Stammesoberen genau beschrieben, und der sei angstvoll zurückgewichen und habe ihm erklärt, die Frau sei schon lange tot; sie sei vor achtzig Jahren in einem nahen See ertrunken. Christian Minderberg hasste diese Geschichten und zog sich zügig auf sein Zimmer zurück; er hielt nichts von übersinnlichen Angelegenheiten und sah mit Groll, wie empfänglich seine Frau für derartigen Unsinn war; die Abende offenbarten einen Charakterzug an ihr, der ihm bisher verborgen geblieben war, außerdem setzte die Hitze ihm zu; ihm war oft schwindelig, und dort, wo sich beim Laufen die Innenseiten seiner Oberschenkel berührten, hatte sich ein unförmiges rotes Exzem gebildet.
An einem Sonntag fuhren sie mit zwei Wagen in die Stadt. Tomiko, die Jana Minderberg mitgenommen hatte, überholte den Range Rover ihres Vaters und kam eine Viertelstunde vor den anderen an. Die Stadt lag festlich und weiß in der Mittagshitze, und der Wind fegte den hellen Sand über die Place des Girondins und überzog die parkenden Autos mit einer feinen Staubschicht. Über den Dächern ragte der Turm von Saint Michel in den verblassten Himmel. Der Fluss glänzte hellbraun und spülte den lehmigen Grund der Garonne an die Oberfläche und an der hellen Stadt vorbei.
Christian Minderberg war für die Schönheit des Panoramas nicht zu haben; er saß unbequem im Fond des Range Rovers und stieß bei jeder Bodenwelle mit dem Kopf ans Dach, und ihm war übel von dem Geschaukel.
Um diese Tageszeit wirkte die Stadt wie ausgestorben; die meisten Läden und sogar die Restaurants hatten geschlossen. Sie gingen ins Musée des Beaux-Arts, wo Percys Lieblingsbild hing, Albert Marquets
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