Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Freund habe oder eine Freundin.
Yutaka lachte und sagte, er habe sich noch nie Gedanken darüber gemacht, was Tomiko so alles hatte, aber bevor Minderberg nachhaken konnte, tauchte Jana auf und legte sich in die wackelige Holzliege neben ihm, deren Gestänge unter ihrem Gewicht vernehmlich knackte.
Wenig später erschien Tomikos Mercedes auf der Dünenpiste. Sie beschleunigte, um durch die kleine Sandverwehung zu kommen, und bremste scharf auf dem Teer vor dem Café. Sie trug Yutakas braungetönte Sonnenbrille und seine weiße Hose. »Ich fahre Fisch holen«, rief sie und schaltete den Automatikhebel auf S.
Christian presste die Lippen aufeinander und schwieg. Er schaute Tomikos Wagen nach und las zum dritten Mal den Wetterbericht. Jana kauerte auf ihrem Stuhl. Sie hatte ein Buch aus ihrer Tasche geholt und las darin. Er starrte auf den Titel, der ihm nichts sagte.
»Um was geht es in dem Buch?«, fragte er.
»Um nichts.«
»Wie, es geht um nichts?«
»Es geht um Menschen, die auf etwas warten, was nicht kommt. Sie trinken Tee und hören zu, wie der Kühlschrank brummt.«
»Warum liest du das?«
»Weil es sehr schön geschrieben ist.«
»Es ist schön geschrieben, aber es handelt von nichts«, wiederholte Minderberg.
»Genau. Ich lese es gern, weil es schön klingt. Es langweilt mich, wenn immer etwas passiert.«
Christian legte seine Hand auf ihren Nacken und schaute aufs Meer.
»Du vermisst deine neue japanische Freundin«, sagte er schließlich, als sei das keine Feststellung, sondern ein Gerichtsurteil.
»Ich vermisse sie beide«, sagte Jana. »Sie sind ein lustiges Paar.«
Christian schaute sie an, ohne etwas zu sagen; dann bestellte er einen Weißwein, den er in einem Zug austrank.
Als Percy aufwachte, war es später Nachmittag. In der Küche summten ein paar dicke Fliegen. Er hatte über dem Herd einen Heizdraht mit Lockstoffen angeschaltet, und jedes Mal, wenn die Fliegen hineinflogen, gab es einen unterhaltsamen Knall. Von der Veranda des Hauses aus sah man bis zum Ende der Düne, wo hinter Ginsterbüschen die Pinienwälder begannen. Im Westen fiel der Blick auf das offene Meer;keine Bucht begrenzte den Blick. Percys Haushälterin hatte die Betten gemacht, die Kissen waren aufgeschüttelt und kühl; auf der Anrichte standen eine Flasche Pastis und eine Flasche Four Roses. Tomiko war offenbar wieder zurück, der Mercedes parkte neben dem Bootsschuppen. Durch das alte Gebälk fiel ein Lichtfleck auf den Terrazzoboden; er sah den Staub im Gegenlicht treiben, der Wind hatte den Sand zu rätselhaften Figuren zusammenlaufen lassen. Ein Salamander verschwand in einer Nische. Draußen blühten die Hortensien, aber auch sie kämpften mit dem Sand. Drüben in der Küche polterte Minderberg herum, offenbar suchte er etwas zu trinken.
Tomiko lag im Schatten hinter ihrem Auto und las ein Buch über Masken und Schadenszauber. Sie hatte einen Fuß gegen den Vorderreifen des Mercedes gestellt. Mit dem Zeh des anderen hatte sie sich in den Abschlepphaken eingehakt. Sie hatte eine neue Frisur, die etwas kürzer war und an Juliette Binoche in ihren frühen Filmen erinnerte.
»Wir waren bei so einem alten Dorffriseur«, sagte sie, als Percy die Terrasse betrat. »Er war großartig. Yuta hat sich exakt die gleiche Frisur schneiden lassen. Du musst ihn sehen, es steht ihm phantastisch!«
Dann ging sie ins Haus und betrachtete ihre neue Frisur in dem alten Spiegel, der in der Eingangshalle zwischen zwei eingestaubten Jagdtrophäen hing. Im Gegenlicht wirkte ihr Gesicht noch dunkler.
Minderberg stand in der Küche und machte sich einen Gin Tonic, als Tomiko aus der Dusche kam – wie er dachte; es war aber Yutaka. Mit der neuen Frisur sah er endgültig wie ein Mädchen aus, das heißt, im Grunde wirkten beide wie Zwitterwesen aus einem Reich, in dem das Geschlecht keine Rolle mehr spielt. Christian starrte die Zwillinge an. Dann goss er sich einen großen Schluck Gin Tonic in den Mund, schluckte und rief: »Donnerwetter! Was wird das denn?«
Der nächste Tag begann mit einem Gewitter. Der Himmel über dem Wald war schwarz und ließ den Sand der Dünen weißer als sonst leuchten. Im Süden verschwamm der Horizont mit dem Meer, und dieLuft war so schwül, dass ihnen trotz des Ventilators die Hemden auf der Haut klebten. Am Nachmittag schlug Percy vor, sie sollten zum Stierkampf nach Bayonne fahren; Jana wollte zu Hause bleiben, wurde aber zum Mitfahren genötigt.
Sie nahmen Percys
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