Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
an, danach verschwand er auf seinem Zimmer. Jana schaute hinaus auf den Hof; ihr Mann war verschwunden.
Als Percy gegen acht aus der Stadt kam, fehlte der Audi auf dem Parkplatz; im Haus traf er nur Tomiko, die breitbeinig auf dem weißlackierten Küchentisch saß .
»Du glaubst nicht, was hier los war, als wir weg waren«, sagte sie, undihrem unbewegten Gesicht war nicht zu entnehmen, ob die Ereignisse eher begrüßenswert oder ärgerlich waren.
»So?«, sagte Percy. »Was war denn los?«
»Jana ist abgehauen. Und Christian ist verschwunden.«
»Warum das denn?«
»Es war offensichtlich so: Christian wollte mit mir wegen Jana reden. Er ist die Düne hinunter zu dem kleinen Garten gegangen. Die Tür stand offen, und er dachte, ich wäre dort. Es war aber Yutaka; sie saßen ein bisschen im Garten, dann schlug Yuta ihm vor, schwimmen zu gehen, tja, und das haben sie dann gemacht. Und als sie im Wasser waren, hat Christian eine mörderische Erektion bekommen. Das Wasser ging zurück, und Yutaka hat gefragt, ob alles in Ordnung sei. Christian hat einen furchtbar roten Kopf bekommen und auf irgendein Mädchen gezeigt und gesagt, das sei doch eine Hammerfrau. Und dann kam die nächste Welle und spülte die beiden zusammen. Dann sind sie zum Abtrocknen hinter die Düne. Und da haben sie sich geküsst.«
»Wie, geküsst?«
»Wie man sich halt küsst. Vielleicht haben sie auch – ich meine, ich war ja nicht dabei. Ich weiß es nur von Yuta«, sagte Tomiko und rollte mit den Augen. »Und Jana hat es gesehen und ist abgehauen.«
»Und was sagt Yutaka zu der Sache?«
»Er fand es – nett.«
Sie suchten Christian, aber er blieb verschwunden, also kochten sie Kaffee und warteten, was passieren würde. Yutaka war oben auf seinem Zimmer und schlief. Es wurde langsam dunkel.
Gegen neun hörten sie draußen einen schweren Wagen über den Kies fahren. Der Audi hielt neben dem Mercedes; der Motor wurde abgeschaltet, nur der Kühler lief noch nach. Dann betrat Jana das Wohnzimmer. Tomiko lächelte sie an und goss ihr einen Becher Armagnac ein. Jana trank ihn fast in einem Zug aus und setzte sich auf das Ledersofa am Kamin.
»Ich erreiche Christian nicht«, sagte sie.
Gegen ein Uhr morgens fand eine Patrouille der Küstenwache zwei Kilometer vom Ort entfernt einen durchnässten, stark unterkühlten Mann, der mit einer leeren Flasche auf einer Sandbank saß. Er hatte vier Stunden dort gestanden und das Wasser um sich steigen sehen. Dem Polizeiprotokoll zufolge wurde er ins Krankenhaus von Dax transportiert, da er zum Zeitpunkt seiner Bergung vollkommen betrunken, verstört und auf Nachfrage nicht in der Lage gewesen sei, zu sagen, wer er war.
2001
Die Mitte
Kilometerstand 238.874
»Ich soll Ihnen etwas über Marie Bergsson erzählen? Ich kannte sie eigentlich kaum. Ich habe sie nur ein paarmal gesehen.«
»Sie waren der letzte, der sie gesehen hat.«
»Das ist fast zehn Jahre her.«
»Acht.«
»Also gut, ich erzähle es Ihnen.«
Er wusste nicht viel über Marie Bergsson. Sie wohnte damals in der Tucholskystraße, in einer renovierten Altbauwohnung mit Blick auf die Polizeiabsperrungen vor dem Café Beth. Womit sie ihr Geld verdiente, wusste niemand, vielleicht hatte sie welches geerbt; an den Wochenenden habe sie als Sprecherin für einen privaten Radiosender gearbeitet – jedenfalls bis zu jenem Tag, als morgens um fünf ihr Telefon klingelte. Es war ein Sonntag, sie war gerade ins Bett gegangen und hatte sehr viel getrunken, und als sie schon fast schlief und bestimmt nicht mehr ans Telefon gehen konnte, war ihr Anrufbeantworter angesprungen, und sie hatte von fern ihre eigene, rauchige Stimme vernommen, die verkündete, sie sei leider nicht da. Dann hatte sie, wie ein gedämpftes, unwirkliches Echo, die metallische Stimme des Redakteurs gehört: Ob sie verrückt sei, sie müsse gleich moderieren, wo sie denn stecke … er habe es satt, dass er immer auf den letzten Drücker … man müsse sich einmal grundsätzlich unterhalten … ob sie jetzt bitte sofort …
Woraufhin sie drei Aspirin genommen und eine vom Samstagübriggebliebene halbvolle Kanne kalten Espresso getrunken hatte, mit dem Mercedes zum Sender gerast war und, wie sie fand, die Nachrichten den Umständen entsprechend unauffällig bis gut verlesen hatte.
Das sah man im Funkhaus anders. Man hatte es schon öfter erlebt, dass Marie Bergsson im letzten Moment mit rotem Kopf ins Studio stürzte, atemlos keuchend ihren Mantel
Weitere Kostenlose Bücher