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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Renault einen Wagen gerammt, es aber angeblich nicht bemerkt hatte; ein Feinbäcker aus Ludwigsfelde, der morgens um vier in einer Seitenstraße in Stahnsdorf mit hundertzehn Stundenkilometern geblitzt worden war; ein Vertreter für Wellblechdächer (sechzehn Punkte wegen Rotlichtverstoß, Beamtenbeleidigung und notorisch dichtem Auffahren); ein melancholischer Alkoholiker aus Treuenbrietzen, der zu spät zum Geburtstag seines Sohnes gekommen wäre, wenn er nicht drei rote Ampeln überfahren hätte (insgesamt vierzehn Punkte); ein dünner polnischer Handwerker mit einem kindlichen Gesicht, der auf einem nichtversicherten, illegal aufgebohrten Mofa ohne Helm in falscher Richtung durch eine Einbahnstraße gerast war, an deren Ende die verblüffte Polizei auf Verkehr aus der anderen Richtung gewartet hatte, um Drogen- und Alkoholkontrollen vorzunehmen, die bei ihm ebenfalls positiv ausfielen (siebzehn Punkte); eine moldawische Fitnesstrainerin, die in einem halben Jahr viermal bei Rot über die gleiche Ampel vor ihrem Studio gefahren war (achtzehn Punkte); ein dicker Mann Anfang sechzig mit Kunstlederweste, der einen Elektrofachladen hatte, Landesmeister im Bogenschießen war und sagte, seine Freundinnen hätten ihn reingeritten, weil sie mit seinem nichtversicherten Zweitwagen herumgefahren und beide erwischt worden seien, wofür er als Halter die Punkte bekommen habe (insgesamt achtzehn Punkte). Als letzter stellte sich Hüseyin vor.
     
    Er war so alt wie Marie Bergsson. Ein Cousin namens Selçuk hatte ihm einen Nebenjob in seiner Firma angeboten, dessen genaue Aufgabe Hüseyin nicht verraten wollte oder konnte, jedenfalls musste er für Selçuk die Hälfte der Woche mit einem Transporter quer durch Berlin fahren, und weil Selçuk ihn alle zwanzig Minuten anrief, wo er mitdem verdammten Transporter bleibe, hatte Hüseyin nach ein paar Monaten dreizehn Punkte in Flensburg gesammelt.
     
    Jeder der Teilnehmer erhielt einen Fragebogen, auf dem er Autofahrertypen – den Siegertypen, den Defensiven, den Aggressiven – und ihr Gefährdungspotential auf einer Punkteskala von null bis sechs analysieren sollte.
    Der Feinbäcker machte Witze über die zwei Freundinnen des Bogenschützen, der Syrer saß mit verschränkten Armen da und moserte über die Berliner Polizei, und die Moldawierin, die Aniuta hieß, trug eine Theorie vor, die darauf hinauslief, dass man im Leben eben schneller und besser als die anderen sein müsse, das gelte auch im Verkehr. Sie hatte einen harten Zug um den Mund, man sah, dass sie Wolf für ein ausgemachtes Weichei hielt; der Syrer und Hüseyin schienen ihr aber zu gefallen, jedenfalls zwinkerte sie ihnen verschwörerisch zu, als die Teilnehmer sich »mögliche Konsequenzen ihres verkehrswidrigen Handelns, zum Beispiel Unfälle, vielleicht mit Todesfolge« ausmalen sollten.
     
    Hüseyin war der erste Türke, den Bergsson kennenlernte; sie umkreisten sich höflich wie Bewohner zweier verschiedener Planeten beim Erstkontakt. Danach trafen sie sich öfter und wurden Freunde. Hüseyin nahm sie mit in die Saz Bar in Kreuzberg und zu seinen Freunden auf den Kurfürstendamm, sie ging mit ihm ins Greenwich und auf die Torstraße. Einmal rief Bergsson, die nicht glauben konnte, dass Menschen unter vierzig wirklich vor drei Uhr morgens schliefen, ihn spät in der Nacht an: Ihr Auto stehe im absoluten Halteverbot, sie wolle Theresa nicht wecken, aber sie könne nicht mehr fahren und habe kein Geld für ein Taxi, sei außerdem von Arschlöchern umgeben und auch zu dünn angezogen, sie friere …
    Hüseyin nahm ein Taxi und fuhr dorthin, wo Marie gestrandet war.
    Sie fuhren mit dem Mercedes quer durch Berlin, über die Torstraße, auf der sich der Verkehr mitten in dieser warmen, vonGewitterblitzen erhellten Nacht staute, zum Fernsehturm. Die Stadt löste sich im Flappflappflapp der Scheibenwischer in einem nassen Glitzern und Sprühen auf, Bremslichter und Blitze, jetzt war etwas Giftiges in der Luft, etwas Gelbliches; im Radio sagten sie, dass die Temperaturen wieder steigen würden, obwohl sie gar nicht gefallen waren. Marie schob eine Kassette ein, die mit einem Klacken einrastete, und streckte ihre Beine aus dem offenen Fenster, und der Regen und der Fahrtwind peitschten gegen ihre Füße. Sie hatte eine Flasche im Arm, die sie an irgendeiner Bar mitgenommen hatte; der Barkeeper hatte es gesehen, war aber nicht hinter ihr hergekommen, weil es so voll war; sie war draußen in ein Taxi gesprungen und hatte

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