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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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leiernden Kinder-die-etwas-darstellen-müssen-was-ihnen-nicht-einleuchtet-Stimme, dass keiner ihnen Quartier gebe. »Kein Platz für uns? Du harter Mann! – Ich glaubs ja gar nicht«, rief der etwa elfjährige Josef frei interpretierend. Karl hatte sich währenddessen losgerissen und war unter der Bühne in Richtung Kanzel gekrochen. Berger stand auf, um ihn einzufangen; er schwitzte stark, seine Krawatte war verrutscht, das Hemd hing ihm aus der Hose. »Kopf runter«, krähte der dicke Junge. Berger kroch hinter Karl unter die Bühne, durch das Gestänge, eigentlich war das hier zu eng für ihn; er hörte über sich ein Poltern, ein Kulissenteil war mit einem dumpfen Knall umgestürzt. Karl hatte seinen Vorsprung auf etwa sieben Meter ausgebaut. Eingeklemmt im Gestänge der rostigen Bühnenelemente, sah Berger, wie Mina versunken auf das Display ihres Mobiltelefons starrte, ihr Gesicht war von unten erleuchtet, sie hatte einen seligen Gesichtsausdruck und wirkte wie die jugendliche Maria auf alten Gemälden. Karl war inzwischen unter der Bühne hervorgekrochen, allerdings auf der anderen Seite, und hatte die Bühne erklommen. Er stand jetzt neben der Krippe und zerrte erfreut an einem Stromkabel, das die Beleuchtung des Stalls von Bethlehem garantierte.
    Berger robbte ihm hinterher und kroch genau in dem Moment unter der Bühne hervor, in dem ein als Engel verkleideter kleiner Russe »Fürchtet euch nicht« rief. Maria drehte sich erstaunt um. Berger nickte verlegen, schob die Heiligen Drei Könige beiseite und stolperte durch den Stall von Bethlehem. Mit einem dumpfen Knall ging dort das Licht aus. »Kopf runter«, krähte der dicke Junge in der ersten Reihe. Karl hatte mittlerweile die Puppe, die das Jesuskind darstellte,an sich gerissen, reckte erfreut seinen speckigen kleinen Arm in die Luft und rannte auf Maria zu, die ratlos zum Pfarrer schaute. Josef warf einen kurzen Blick ins Publikum und brach in ein hysterisches Gelächter aus. Einer der Heiligen Drei Könige begann zu weinen und wurde vom hartherzigen Wirt getröstet. Die ersten Leute begannen zu kichern. Berger duckte sich hinter den Pappmaschee-Esel. Im Halblicht des Kirchenschiffes sah er das versteinerte Gesicht seiner Schwiegermutter aus dem Lodenmantel ragen. Er flüsterte Karl zu, er solle sofort zurückkommen, aber Karl hörte ihn nicht.
    »Fürchtet euch nicht«, wiederholte der verunsicherte kleine Russe und wackelte mit seinen Pappmascheeflügeln, aber es klang nicht mehr sehr überzeugend. Der Pfarrer starrte fasziniert auf das seltsame Geschehen und sagte erst mal nichts; dann kniete er sich hin und versuchte, Karl das Jesuskind wegzunehmen, aber der dachte nicht daran, seine Beute herauszurücken. Maria kniete sich neben Karl und redete sanft auf ihn ein, aber der zerrte entschlossen mit beiden Händen am Jesuskind, sein Kopf war dunkelrot vor Anstrengung und Zorn, und er gab erst auf, als ihn Simone mit einer Tüte Gummibärchen von der Bühne lockte.
     
    Auf der Fahrt nach Hause sprach keiner ein Wort. Berger zerrte sein blinkendes Mobiltelefon aus der Innentasche seines Anzugs; er hatte zwölf Anrufe in Abwesenheit. Janna Bissheimer war auf der Mailbox und flüsterte mit gepresster Stimme, Tolkow habe, anscheinend ohne Kenntnis des Vorstands, bei den Portfolioinvestments auf eigene Rechnung gearbeitet, er hatte, ohne dass es jemand wusste, in forderungsbesicherte Wertpapiere investiert, die amerikanische Immobilienkredite enthielten. Der dynamische Typ aus der EM-Abteilung hatte zusammen mit ein paar jungen Typen aus der Abteilung für strukturierte Produkte die Anleger zusammengetrieben, viele hatten investiert – auch der blasse Mann, der auf der Hauptversammlung aufgetaucht war und ihn hatte sprechen wollen.
    Berger versuchte, Janna Bissheimer zurückzurufen, aber auch sie war offenbar unter irgendeinem Tannenbaum verschwunden.
     
    Jan-Hendrik, Simones Bruder, traf ein. Er war neununddreißig und hatte noch nie in seinem Leben Geld verdient. Er war auf dem Internat gewesen und hatte später mit dem Geld seiner Mutter eine Immobilienberatung gegründet, die aber bald nur noch in Form einer stillgelegten Website und eines leerstehenden Büros existierte, in dem Jan-Hendrik von Zeit zu Zeit eine Party veranstaltete. Zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag hatte seine Mutter ihm probehalber den Geldhahn zugedreht, ein Erlebnis, das Jan-Hendriktraumatisiert hatte.
    Seit er denken konnte, war Geld da gewesen; und so wie der

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