Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
wohnte. Immer nach der Arbeit fuhr sie mit ihrem Wagen, einem alten, hellblauen Volkswagen, zu ihm. Sie blieben im Haus oder gingen nur kurz an den Strand, um zu schwimmen. Niemand sah sie in der Öffentlichkeit. Sie verbrachten nie mehr alseine Stunde zusammen. Jahrelang ahnte ihr Mann nichts. Als er etwas ahnte, ließ er sie und den Mann beobachten, aber sie waren vorsichtig und trafen sich nicht mehr. Es half ihnen nichts: Der Detektiv habe auf Google Maps das Haus des Mannes, den er im Verdacht hatte, gesucht – und im Hof, geschützt vor den Blicken der Straße, den hellblauen Wagen der Frau entdeckt. Das Luftbild war offensichtlich zu einem Zeitpunkt gemacht worden, als sie bei ihm war.
Als Berger ein paar Tage später ins Büro kam, war alles wie immer. Janna Bissheimer hatte offenbar nichts erzählt, jedenfalls benahmen sich die Kollegen unauffällig. Er telefonierte mit ein paar Kunden, beantwortete die wichtigsten E-Mails, versuchte, Simone anzurufen, die aber nicht abnahm, bestellte ein Pastrami-Sandwich, stellte das Telefon auf seine Sekretärin um und schloss die Tür. Janna kam gegen eins in sein Büro: Sie hatte sich einen Aktenordner zwischen Arm und Hüfte geklemmt und kaute Kaugummi; sie wolle sich, sagte sie, für den schönen Abend bedanken, sie sei leider ein wenig müde gewesen. Habe man gar nicht gemerkt!, rief er erleichtert. Sie redeten noch ein paar Minuten über Belanglosigkeiten, dann ging sie. Den restlichen Tag verbrachte er damit, ein Schreiben an seine Kunden zu diktieren: Tatsächlich sei während der – durch negative Presseberichte erzwungenen! – Aussetzung der Anteilrücknahme die Liquidität der Anteilswerte eingeschränkt, diese sicherten jedoch die Ertragskraft und die ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Fonds. Die Maßnahme erfolge zum Schutz der Anleger. Sie sei zunächst auf drei Monate befristet. Das Geld der Anleger bleibe jedoch nach wie vor sachwertgesichert in Immobilien investiert.
Berger schaute zufrieden auf den Entwurf. Es war eine sehr elegante Art, den Leuten zu sagen, dass sie gerade nicht an ihr Geld kamen, weil es sich sonst in Luft auflösen würde. Jetzt musste man ihnen noch das Gefühl geben, dass er die Lage im Griff hätte.
Von draußen drang ein ungewohnter Lärm in sein Büro; Berger steckte kurz den Kopf aus der Tür und schaute auf den Flur, wo eine kleine Feier stattfand. Irgendjemand war befördert worden und gabeinen aus. Die beiden dicken Sekretärinnen legten eine CD von Tom Jones ein und begannen, mit kreisenden Hüften um den Empfangstisch zu tanzen. Kurze Zeit später stellte der Abteilungsleiter sein Mineralwasser ab und begann ebenfalls zu tanzen; er machte Wellenbewegungen mit den Armen, seine kurzen, gemusterten Socken gaben ein Stück seiner weißen Waden frei. Berger zog die Tür zu und diktierte weiter. »Zum weiteren Ausbau und Erhalt einer belastbaren Liquiditätsquote erfolgte der Verkauf – ich korrigiere«, rief Berger, »die Absage oder der Ausstieg aus mehreren laufenden Projekten.«
Er blieb lange; als er gegen Mitternacht ging, traf er im Parkhaus die dicke Putzfrau, die gerade von ihrem Motorroller stieg und müde grüßte, bevor sie sich daranmachte, in den verlassenen nächtlichen Büros das Chaos und den Schmutz des Tages zu beseitigen.
Simone und Jochen Berger versuchten in den folgenden Monaten mehrmals, sich zu trennen, aber immer wenn er kurz davor war auszuziehen, saß sie zusammengesackt da und schaute wie ein verletztes Tier, das nur einigermaßen anständig behandelt werden will, stattdessen aber mit grundloser Brutalität geschlagen wird. Er konnte sich nicht von ihr trennen.
Zur Paartherapie gingen sie insgesamt dreimal. »Diese Paartherapie«, sagt Berger später, »war sicherlich das Unsinnigste, was wir je gemacht haben.« Die Therapeutin habe eine spitz an den Ecken zulaufende rote Stahlbrille und Wollsocken getragen, auch er habe die Schuhe ausziehen müssen. Dann saßen sie da und starrten auf eine schief durch den Raum wuchernde Pflanze. »Sagen Sie Ihrer Frau, dass Sie sie lieben«, schlug die Therapeutin vor. Er presste die Lippen aufeinander und schaute hilfesuchend in Richtung der halbvergilbten Zimmerpalme. Die Therapeutin bohrte weiter. Dann solle er eben eine ihm genehme Form finden, seine Gefühle auszudrücken.
Er könne seine Gefühle nicht ausdrücken, erklärte er erbost, während die Therapeutin mitfühlend nickte, seine Gefühle seien keine Pickel, die man einfach so
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